Gentlemen's Agreement

Freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie nützen der Umwelt nur, wenn sie einklagbar sind  ■ Von Ralf Ahrens

Umweltvereinbarungen versprechen das schier Unmögliche: mehr Umweltschutz mit weniger Bürokratie. Die Industrie sichert zum Beispiel zu, die Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid zu senken oder verschmutzte Böden zu sanieren. Solche Selbstverpflichtungen sind inzwischen modern – und das nicht nur in der Bundesrepublik: Über 300 mehr oder weniger verbindliche Umweltvereinbarungen zählte die EU-Kommission. Europameister sind die Niederlande mit über hundert, gefolgt von der Bundesrepublik mit etwa 80. Nur Griechenland weist keine Vereinbarungen auf.

Die EU-Kommission sieht Umweltvereinbarungen als wichtigen Teil der gesamten Umweltpolitik: „Sie können kostenwirksame Lösungen bei der Erreichung von Umweltzielen bieten und führen bei wirksamen Maßnahmen im Vorfeld oder als Ergänzung zu gesetzlichen Maßnahmen.“ Die Brüsseler Behörde hat dazu sogar eigene Empfehlungen in einem Leitfaden veröffentlicht.

Doch die Absichtserklärungen der deutschen Wirtschaft, stellte das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZWE) in Mannheim ernüchternd fest, bringen den Umweltschutz kaum voran: Sie orientieren sich nicht an den fortschrittlichsten Mitgliedern innerhalb einer Branche, sondern an denen mit dem größten Beharrungsvermögen. Sie schöpfen damit in der Regel nur die Potentiale ab, die sich ohnehin als betriebswirtschaftlich kostendeckend erweisen würden. Das ZEW lüftete den Schleier der vermeintlichen Freiwilligkeit, den die Wirtschaft gerne über ihre Absichtserklärungen legt: „So wie im Mittelalter der Folterer die Folterinstrumente gezeigt hat, wirkt heute der Minister mit dem Entwurf einer Verordnung“, meint Heidi Bergmann, ZWE.

Die Autohersteller etwa waren erst bereit, alte Autos zur Verwertung zurückzunehmen, als die Bundesregierung mit einer Altautoverordnung drohte. Und um einer Energiesteuer zu entgehen, versprach der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Köln, daß die Wirtschaft von sich aus bis zum Jahr 2010 ein Fünftel weniger des Treibhausgases Kohlendioxid emittiert.

„Wir haben keine Polizeigewalt“, bekennt Eberhard Meller vom BDI. „Wir versuchen, unsere Mitglieder moralisch zu überzeugen, die Vereinbarungen einzuhalten.“ Ein riskantes Spiel: Senkt die Wirtschaft ihre Emissionen an Kohlendioxid nämlich nicht entsprechend, verliert der BDI an Glaubwürdigkeit.

„Es geht nicht darum, die Selbstverpflichtungen der deutschen Wirtschaft zu diskreditieren“, meint Bergmann. Sie rät wie die EU-Kommission, verbindliche und einklagbare Verträge abzuschließen. Verträge bieten klare Rahmenbedingungen, erklärt die EU-Kommission, „so daß für den Fall der Nichteinhaltung Sanktionen ausbedungen und Gerichtsentscheide durchgesetzt werden können“.

Wie in den Niederlanden. Die dort Covenants (englisch für Vertrag) genannten Vereinbarungen unterscheiden sich deutlich von den Absichtserklärungen der deutschen Wirtschaft. So sind Covenants, wie der mit der chemischen Industrie aus dem Jahr 1993, vor Gericht einklagbar. In Covenants verpflichten sich Industriezweige und einzelne Unternehmen, ihren Beitrag zu leisten, um die Umweltziele für die Jahre 2000 und 2010, die im Nationalen Plan für Umweltpolitik (NEPP) festgelegt sind, zu erfüllen. Beispielsweise soll bis zum Jahr 2010 der Abfallstrom um 70 bis 90 Prozent reduziert werden. Bereits heute beteiligen sich insgesamt 12.000 Unternehmungen, auf die über 90 Prozent der Verschmutzung durch Industriebetriebe fällt.

Firmen, die ein Covenant unterschrieben haben, geben alle vier Jahre bekannt, wie sie die Vorgaben erfüllen wollen. So werden die Umweltmaßnahmen öffentlich diskutiert. Und auch die Genehmigung einer Anlage, die in den Niederlanden alle vier Jahre erneuert werden muß, kann so erleichtert werden. „Wir verhandeln dann mehr oder weniger über die Maßnahmen, die ein Unternehmen tätigen kann“, erklärt Cees Moons vom niederländischen Umweltministerium. Im Idealfall akzeptiert die Behörde die Pläne der Firma und genehmigt die Anlage. Nimmt eine Firma nicht am Covenant teil oder genügen der Behörde die Maßnahmen nicht, dann greift sie auf das Ordnungsrecht zurück, und der Firma wird gesagt, was sie zu tun hat. Ein weiterer Grund, weshalb Covenants in den Niederlanden erfolgreicher sind als die Absichtserklärungen in Deutschland, ist die soziale Kontrolle: Jeder kennt jeden, so Moons: „Wenn wir eine Vereinbarung mit einem Verband abgeschlossen haben und mehr als 70 Prozent seiner Mitglieder unterschrieben haben, haben die restlichen 30 Prozent ein großes Problem, zu erklären, warum sie nicht auch mitmachen.“