■ Vorschlag
: Generationenporträts aus Ost- und Westdeutschland im Acud-Kino

Stuttgart-Möhringen, eine Kamerafahrt zeigt freundliche Fassaden einer gutbürgerlichen Gegend. Solche Bilder annoncieren stets den Blick hinter die Fassade, die Suche nach verborgenem Sinn.

Am Anfang der Recherche, die auch eine Art Requiem ist, steht das Foto einer Abiturklasse 1979. Darauf unter anderem Andres Veiel, der Filmemacher. Drei Schüler haben sich seitdem umgebracht. Der Schillerndste und Talentierteste war Thilo. Auf Super-8- Bildern sehen wir ihn mit langen Haaren und Wildlederjacke im Wald, dazu hört man Deep Purple. Er engagiert sich für die RAF- Gefangenen in Stammheim. Schließlich studiert er Medizin. Als sein Vater nach seinem Tod seinen Schreibtisch begutachtet, sagt er: „Ordentlich war er. Das ist gut.“ Die Söhne sterben vor den Vätern.

„Die Überlebenden“ von Andres Veiel beschreibt in drei Fallstudien bundesdeutsche Alltagswelt, in die ein Unglück einbricht. Der zweite Tote war Rudi. Kein Held, eher ein introvertierter Sprößling einer Flüchtlingsfamilie aus Sudetendeutschland. „Es war Herzstillstand“, sagt der Vater – und leugnet, was in Möhringen alle wissen: daß er selbst seinen Sohn am Fensterkreuz abschnitt. Der dritte, Tilmann, war eine gänzlich unscheinbare Figur. Keine Lüge, die aufzudecken wäre, nur Eltern, die noch immer nicht begreifen, warum es geschah.

„Die Überlebenden“ entwickelt eine Dramaturgie der Enttäuschungen. Was zu Beginn als ödipales Drama mit klarer moralischer Schlachtordnung erschien, wird zusehends brüchiger. Thilo, so begreift man nach und nach, war eine überaus zwiespältige Figur. Er tyrannisierte und vergewaltigte seine Freundin. Seinen Vater bezichtigte er grundlos, Nazitäter gewesen sein sein. So zerbricht der Mythos von Rebellion und Martyrium. Die Nazivergangenheit der Eltern, ein zentrales Motiv der Generationsrevolte von 68, ist zum virtuellen Instrument im Kampf der Jüngeren gegen die Alten geworden.

Ähnlich fragmentarisch ist auch „Eisenzeit“, eine Recherche über vier junge Männer aus Eisenhüttenstadt, von denen zwei sich Ende der 80er umbrachten. Der Film- und Theaterregisseur Thomas Heise hat diese Dokumentation 1991 gedreht. Heise ist, zumal seit seiner Dokumentation „Stau – Jetzt geht's los“ über rechtsradikale Ost- Jugendliche, der interessanteste Dokumentarist seiner Generation in der DDR mit Blick für das Dissidente und vielleicht so etwas wie ein Ost-Pendant zu Andres Veiel.

Atemlos, betonungslos, fast getrieben spricht Heise Texte aus dem Off über die jungen Männer, aufgewachsen mit schrecklichen Vätern, aufsässig geworden, weil es nicht anders ging, wenn man nicht ersticken wollte an Eisenhüttenstadt, früher Stalinstadt, die erste sozialistische Stadt der DDR. „Eisenzeit“ ist eine Langzeitbeobachtung, die keine ist, weil der erste Teil nicht gedreht werden durfte. Bereits 1981 wollte Heise die vier Jungen porträtieren. Das roch nach Opposition, so wurde nichts daraus. Wie in „Die Überlebenden“ scheint auch in „Eisenzeit“ der Erzählfluß gelegentlich zu stocken: als hätte es dem Film die Sprache verschlagen. So scheinen beide Filme vor allem unser Bedürfnis enttäuschen zu wollen, den Selbstmord, die radikale Absage mit Sinn und Trost zu versehen.

Am Ende stammelt Frank, der aus Eisenhüttenstadt schon vor dem Mauerfall nach Kreuzberg floh, den Haß auf seinen Vater ins Mikrophon: auf einen ewigen Deutschen, der zu Hause Terrorist ist und draußen, im Beruf, angepaßt. Man denkt vielleicht an eine andere deutsche Jugend, an Bernward Vesper – Sohn des Nazidichters Will Vesper –, der 1968 an der Seite von Gudrun Ensslin rebellierte. An jenen Vesper, der sich 1971 umbrachte, weil er, wie er in dem Romanfragment „Die Reise“ schrieb, seiner „Kindheitshölle nie entkommen war“. Stefan Reinecke

„Die Überlebenden“ von Andres Veiel und „Eisenzeit“ von Thomas Heise. Nach der Vorstellung findet ein Gespräch mit beiden Regisseuren statt. Moderation: Knut Elstermann. Heute, 20 Uhr (“Die Überlebenden“ bis 15.1.), Acud-Kino, Veteranenstraße 21, Mitte