Aus dem Kirchenasyl nach Vietnam zurück

■ Vietnamesischer Familienvater beugt sich dem Druck des Berliner Innensenators

Berlin (taz) – Einer der ungewöhnlichsten Fälle von Kirchenasyl hat jetzt in Berlin ein unfreiwilliges Ende gefunden. Der ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter Herr L., der seit über einem Jahr in einer Ostberliner Kirchengemeinde Schutz vor drohender Abschiebung gefunden hatte, ist am vergangenen Freitag „freiwillig“ nach Vietnam ausgereist.

Der 37jährige Familienvater, der seine Ehefrau und seinen vierjährigen Sohn in Berlin zurückläßt, hatte nach langen Diskussionen keine Alternative mehr zum Verlassen des Kirchenasyls und zur Ausreise gesehen. Andernfalls hätte er sich am heutigen Dienstag wegen illegalen Aufenthalts vor Gericht verantworten müssen. Dazu hätte ihn die Polizei möglicherweise zwangsweise aus seinem Asyl herausgeholt, denn Berlins Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) hatte die Ausweisung des Herrn L., der wegen Handels mit unverzollten Zigaretten vorbestraft war, zur Chefsache erklärt.

Der Fall des Vietnamesen sorgte bundesweit für Aufsehen, als die Berliner Justiz im Herbst letzten Jahres strafrechtliche Ermittlungen gegen den Gemeindepfarrer und den zuständigen Diakoniepfarer wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz einleitete. Im Dezember setzte die Staatsanwaltschaft noch eins drauf: Zum ersten Mal in der Geschichte des Kirchenasyls ließ sie die Räume einer schutzgebenden Gemeinde durchsuchen und beschlagnahmte das Protokollbuch des Gemeindekirchenrates. Das Buch sollte Aufschluß über die Namen der Gemeinderatsmitglieder geben, die das Kirchenasyl für den Vietnamesen ausdrücklich gebilligt hatten. Auch gegen sie erwägt die Staatsanwaltschaft die Einleitung eines Strafverfahrens.

Sowohl die Kirchengemeinde selbst als auch der Evangelische Landesbischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, hatten gegen diese neue Form der Kriminalisierung des Kirchenasyls protestiert. „Eine Sternstunde für Deutschland“, so der Kommentar einer Mitarbeiterin der Gemeinde. Für die Gemeinde ist das Kirchenasyl damit nicht beendet. Sie wird Herrn L. und seine von den Behörden auseinandergerissene Familie weiter unterstützen. Vera Gaserow