Arbeit verändert

Über den Preis des Wohlstandes, den Arbeitsplatz Kind und das Ende eines Berufes: Erste Einblicke in das Museum der Arbeit  ■ Von Sven-Michael Veit

BEI DEM DING WAR Vorsicht geboten. Wenn die „Dicke Berta“ außer Kontrolle geriet, rettete sich, wer konnte. Das Monstrum, vier Meter hoch und acht Tonnen schwer, war das Kernstück der Metallwarenfabrik Carl Wild. Von 1901 bis 1989 erfüllte sie deren Fabrikationshalle in Hohenfelde mit Stampfen und Rattern.

Jetzt steht die elektrisch betriebene Friktionsspindelpresse, so die technisch korrekte Bezeichnung, reglos und stumm im Museum der Arbeit. Sie ist Mittelpunkt der Wildschen Produktionsanlagen, die hier fast vollständig wieder aufgebaut wurden. Die Wappen der Hamburger Reedereien der Jahrhundertwende, Kriegsabzeichen für das Kaiserreich und Eiserne Kreuze für die Hitler-Wehrmacht, aus den 50er Jahren Anstecknadeln der Hamburger Sportvereine – die Produktionspalette illustriert acht Jahrzehnte Hamburger Geschichte.

1990 hatte das Museum das gesamte Inventar der mittelständischen Fabrik erworben, die 88 Jahre lang mit nahezu unveränderter Technologie Abzeichen, Auszeichnungen und Anstecknadeln produziert hatte. Im rekonstruierten Hauptarbeitsraum entwarfen Graveure die winzigen Nadeln, am nächsten Tisch stanzten Hilfsarbeiterinnen die Blechteile, löteten und lackierten, und gleich daneben rumorte ohrenbetäubend laut die „Dicke Berta“.

DIE METALLWAREN-fabrik Carl Wild ist ein Beispiel für das, was Gernot Krankenhagen die „Verdeutlichung von Arbeits- und Lebenszusammenhängen“nennt. „Wir zeigen nicht nur die Technik“, erläutert der Direktor des Museums der Arbeit das Konzept, „sondern fragen, was diese für die Menschen bedeutet hat“. Nicht der Leistungsfähigkeit einer Maschine habe das Augenmerk zu gelten, sondern den Arbeitsprozessen, die sie erzwang, dem Lärm und Schmutz, die sie erzeugte, den Gesundheitsgefahren, die von ihr ausgingen.

Die sozialen – und nicht zuletzt die unsozialen – Folgen der technisierten, arbeitsteiligen Gesellschaft aus dem Blickwinkel „derer da unten“ zu analysieren, zu vermitteln und be-greifbar zu machen, ist die eine Hauptaufgabe dieses Museums. Die zweite: Der historische Blick auf die Arbeiterbewegung, ihre Kultur, ihre Organisationen und ihre Unterdrückung.

Keine Stätte wertfreien ästhetischen Genusses ist es also, die im Fabrikensemble am Bahnhof Barmbek am Montag ihre Pforten öffnet. Der Alltag der Lohnabhängigen und ihrer Familien seit Beginn der Industrialisierung Hamburgs, ihre Arbeits- und Wohnverhältnisse, kurz: das Leben und Leiden früherer Generationen soll hier für den heutigen Betrachter erfahrbar und sinnlich nachvollziehbar werden.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesellschaftlicher Entwicklungen sind die Themen dieses ungewöhnlichen Museums – Themen des permanenten Wandels, die mit statischen Betrachtungsweisen nicht zu erfassen und noch viel weniger zu vermitteln sind. „Dieses Museum wird immer in Bewegung sein“, sagt Krankenhagen, „denn es wird es sein müssen.“

„ARMUT IST WEIBLICH“ – ein aktuelles Schlagwort, dessen Ursprünge älter sind, als viele vermuten: so alt wie die Arbeit selbst. Die Geschichte der Geschlechterbeziehungen haben die MuseumsmacherInnen zu einer grundlegenden Kategorie für Sammlung und Vermittlung erklärt. Zum ersten Mal in Deutschland wird damit in einem sozialhistorischen Museum die Rolle der Frau in der Arbeit als integraler Ausstellungsbestandteil begriffen und aus dezidiert feministischer Perspektive untersucht. „Es waren fast ausschließlich Männer, die Frauen gesagt haben, was und wie sie zu arbeiten haben“, konstatiert Elisabeth von Dücker, die im Museum für dieses Thema zuständig ist. Und sie fügt hinzu: „Und es waren die Frauen, die diese Zuweisungen mitgetragen haben.“

Am Beispiel der für Hamburg typischen Fischindustrie soll die Arbeitswirklichkeit von Frauen veranschaulicht werden. Dort wurde zwischen Frauen- und Männerarbeit streng getrennt: Das Entgräten, Ausweiden, Filetieren, Sortieren und Verpacken der Fische galt als reine Frauenarbeit. Sie war monoton, überaus anstrengend und natürlich schlecht bezahlt.

Auch der „Arbeitsplatz Kind“ wird in diesem Museum nicht verschwiegen, im Gegenteil gilt die Hausarbeit als konzeptionell unverzichtbares Element. Die „Erweiterung des Begriffs 'Arbeit' ist unumgänglich“, sagt Elisabeth von Dücker. Die industrialisierte Gesellschaft basiere eben nicht nur auf Lohnarbeit, sondern auch auf „großen Anteilen an nicht-bezahlter Arbeit“. Und dazu gehörten „eben Haushalt, Familie und Kinder“.

DIE HUMBOLDT-BÜSTE aus Kautschuk ist der Stolz von Jürgen Ellermeyer. Der Wissenschaftler im Museum der Arbeit steht auf Gummi. Der lebensgroße Kopf des Naturforschers ist ebenso wie eine Madonna aus Hartgummi ein Produkt der Hamburger Kautschuk-Industrie aus der Kaiserzeit. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde in mehreren Fabriken dieser Stadt der aus Südamerika oder Malaysia importierte Naturkautschuk verarbeitet, zu Reifen, Kämmen oder auch zu solch skurrilen Dingen wie Tabakspfeifen in Form eines bestrumpften Frauenbeins. „Aus heutiger Sicht“, sagt Ellermeyer, „mag sie ja als Produktverirrung erscheinen. Als Zeugnis der kautschukverarbeitenden Industrie ist diese Pfeife eine Pretiose.“

Die Ausstellungseinheit, die Ellermeyer erarbeitet hat, wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die koloniale Vergangenheit der Stadt, deren Kaufleute nicht zuletzt durch die Ausbeutung der „Dritten Welt“ reich wurden. Zugleich führt sie zurück in die Geschichte des Museums der Arbeit selbst: Das gründerzeitliche Fabrikensemble, das jetzt zum Museum wird, war dereinst die New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie. Über die Arbeitswirklichkeit in dieser Branche ist dennoch nicht allzuviel bekannt: „In den wenigen erhaltenen offiziellen Beschreibungen tauchen zum Beispiel Gesundheitsgefahren kaum auf“, sagt Ellermeyer. Sicher sei jedoch, so hätten Zeitzeugen berichtet, „daß es fürchterlich gestunken hat, schlimmer als die Fischmehlfabriken am Hafen“.

INNERHALB WENIGER Jahre sind sie verschwunden: die Setzer im Druckgewerbe. Über 400 Jahre vergingen seit Gutenbergs Zeiten, bis die Erfindung der ersten Druckmaschinen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts zur Erleichterung der Arbeit führte und zugleich eine Spezialisierung erforderte: Die Handsetzer wurden zu hochqualifizierten Fachkräften mit ausgeprägtem Selbstbewußtsein. Die Ablösung des Bleisatzes durch den Fotosatz zu Beginn der 80er Jahre machte sie fast über Nacht überflüssig.

„Das Ende eines Berufsstandes“ heißt der Ausstellungsteil, in der an hochkomplizierten Maschinen und Werkzeugen demonstriert wird, was durch die doppelte technologische Revolution in diesem Gewerbe – der Fotosatz ist inzwischen vom Computer verdrängt worden – auch an grafischer Qualität verloren ging. Fachleute, die seinerzeit selbst „ausgemustert“ wurden, zeigen hier an der Steindruckpresse, in der Bleisetzerei oder an der Linotype-Setzmaschine ihr handwerkliches Können. Und sie geben es weiter: Selbermachen ist ausdrücklich erwünscht.

DER „FORTSCHRITT DER Produktivität“, der gerade im grafischen Gewerbe in jüngster Vergangenheit so überdeutlich wurde, führe direkt zu dem, was Museumsdirektor Krankenhagen „den Preis des Wohlstandes“ nennt. Auf die qualitativen Veränderungen in der menschlichen Arbeit und deren soziale, kulturelle und ökonomische Folgen müsse der „bilanzierend-kritische Blick“ gerichtet sein.

Denn Arbeit verändert – uns alle. Doch wie, warum, wodurch? – einfache Fragen, auf die das Museum der Arbeit wenigstens ein paar Antworten suchen will.