Das große Geschäft mit San Simón

„Esperanza“ ist der vielversprechende Name einer Busgesellschaft, die Leute ins guatemaltekische San Andrés Itzapa fährt. Dort vollbringt die Holzpuppe San Simón Wunderbares  ■ Von Ingolf Bunge

Dunkler Rauch quillt aus dem Hof der Kapelle, kein Weihrauch. Es stinkt schon am Morgen nach Verbranntem mit einem Hauch von Schnaps und Bier. Im Qualm der fünf Opferfeuer harren einige Gestalten aus, während etwas abseits vier ungewöhnlich gut genährte Straßenköter dösen. Gemurmel dringt aus dem Rauch hervor. Den Ritualen haben sich mehr als 200 buntgekleidete Indianer und weniger bunte Mestizen zugewandt, die für ein Zwiegespräch mit der Holzpuppe im Innern der Kapelle anstehen: „San Simón vollbringt Wunder!“ glaubt Laura Gonzáles, 24.

Das Hausmädchen aus Guatemala-Stadt ist voller Hoffnung die 56 Kilometer nach San Andrés Itzapa gefahren, um sich von ihrer Scheideninfektion heilen zu lassen. Seit zwölf Monaten haben weder die Arztbesuche für zwei ihrer Monatsgehälter noch unzählige Gebete in der Hauptstadt-Kathedrale Besserung gebracht. Jetzt heuert sie für ein weiteres Monatsgehalt von 500 Quetzales (150 Mark) den selbsternannten Maya-Priester Vicente Pérez Alvárez, 41, an, der San Simón mit viel Brimborium um Heilung bittet.

„Querido Hermano San Simón“, „geliebter Bruder San Simón“, ruft Vicente Pérez immer wieder in einem gleichförmig-sakralen Sprechgesang, während sich Laura Gonzáles die Bluse ausziehen muß – mitten im Hof und wegen des Scheidenleidens. Vor ihren Füßen flackert ein kleiner Scheiterhaufen aus Kerzen sowie Briketts aus Holzspänen. Pérez beginnt das Reinigungsritual, streicht ihr sechsmal mit je zwei rohen Eiern über den Körper und plaziert sie rund um die Flammen. „Das entfernt die schlechten Einflüsse.“ Dann geht der „Priester“ die Infektion an. Mit einer gefesselten, schwarzen Henne fährt er seiner indianisch wirkenden Kundin immer wieder über den Körper, lullt sie mit seinem Bittgesang ein: „Querido Hermano San Simón, nimm Laura Gonzáles über diesen Vogel die Krankheit, querido Hermano...“ Das verstörte Huhn landet schließlich zwischen ihren Füßen. Vicente Pérez, der wegen seines roten Kopftuchs mehr an einen Piraten als an einen Heiler erinnert, kommt in Fahrt. Der Vogel allein reicht nicht. Mit zwei Spraydosen „Kent“ Männer-Deo nebelt er Laura von oben bis unten ein, übergießt sie mit Rum und spritzt sie mit geschütteltem Bier ab. Die Prozedur mit der Henne – die die Krankheit aufnehmen soll – wiederholt sich, ebenso die „Wäsche“; ein paar Spritzer Duftwasser unter den Rock, dann schlägt dem Huhn die Stunde: Kopf ab, und ins Feuer. Nun schleppt Vicente Pérez die Kranke – immer noch ohne Bluse – in die von Kerzenruß geschwärzte Kapelle, wo die vierte Spraydose „Kent“ zum Einsatz kommt. „Don Vicente“, wie ihn seine Kollegen nennen, zieht Laura vorbei an der Schlange der Wartenden vor die geöffnete Vitrine der Holzpuppe mit Hemd, Schlips, Anzug und Hut. Im Schoß von San Simón sammeln sich die Banknoten. Die Beine des Glücksbringers sind mit einem Handtuch bedeckt, das die „Gläubigen“ mit Rum begießen: „den mag er“.

Don Vicente wringt das Tuch ein wenig über Lauras Kopf aus und setzt den Schwall der Bitten an „Hermano San Simón“ fort. Jetzt nimmt er mehrmals einen großen Schluck Bier in den Mund und spuckt es Laura ins Gesicht. „Durch ein Wunder San Simóns und durch ihren Glauben wird die Frau geheilt“, sagt er später.

Inzwischen sind die Feuer auf dem Kapellenhof runtergebrannt, Mittagsflaute: die Stunde der Hunde. Vorsichtig fischen sie mit ihren Pfoten die Reste der verbrannten Eier und Hühner aus der Asche. Derweil schüttelt ein paar Straßen weiter der katholische Pfarrer Adán Francisco Garcia den Kopf: „In der Kapelle geht es nur um viel Geld.“ Er predigt seit fünf Jahren in der großen Kirche von San Andrés Itzapa, die weniger Menschen anzieht als San Simón. Garcia sagt, er habe keine Probleme mit diesem Aberglauben – trotz der schweren Zeiten für die Kirchen in Guatemala: Der Anteil der Katholiken ist in den vergangenen zehn Jahren von 96 auf 80 Prozent gesunken.

Garcias Vorgänger Gerardo Aguirre sah hingegen das Treiben dort alles andere als gelassen. Er soll nicht ganz unschuldig daran sein, daß die Simón-Kapelle vor rund 20 Jahren abbrannte. Und er hat seinen Küster in das Komitee San Simón mit dem Auftrag entsandt, den Kult zu untergraben. Doch als der heute 66jährige Fermin Sal Cuc merkte, wieviel Geld die Holzpuppe einbringt, setzt er sich an die Spitze des Komitees und vergißt seinen Auftrag.

So sagt denn auch Padre Garcia: „Was hier läuft, ist eine Degeneration. Früher war Maximón, so der ursprüngliche Name der Puppe, Beschützer der ehelichen Treue. Heute kommen die Nutten und bitten um gute Geschäfte.“

Garcia hat die Geschichten um San Simón bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt: Sie wurzeln im Indio-Dorf Santiago am berühmten Atitlánsee. Die dortigen Indianer lebten vornehmlich vom Handel mit getrockneten Fischen und Krebsen. Deshalb mußten die Männer immer wieder ihre Familien verlassen und wochenlang durch die Gegend ziehen. Gerüchte über freizügige grüne Witwen waren die Folge.

Einer der Indios, so erzählt der Pfarrer, wollte schließlich wissen, was daheim während seiner Abwesenheit passiert. Mit einem Freund brach er nur zum Schein zu einer Handelsreise auf und versteckte sich unter dem Dach seiner Hütte. Als er schließlich sah, wie seine Frau einen anderen Mann einließ und sich ihm hingab, erwürgte er beide in höchster Erregung. Später beriet der Indio mit seinem Kumpan, wie sich die Tat verheimlichen ließ – und sie kamen überein, einen Gott zu schaffen. Und damit er gefürchtet wird, mußte es ein Gott sein, der spricht. So wählten die beiden Männer für den Kopf ihrer göttlichen Puppe das Holz des Pito-Baumes; es macht Geräusche, sobald sich ein Lüftchen regt. Weil die Indianer gerne rauchen , nahmen die beiden für den Körper den Stamm der Bananenstaude. Er absorbiert Flüssigkeit und atmet, weshalb die Puppe mit einer Pfeife im Mund auch tatsächlich rauchen konnte. Nur vergaßen der gehörnte Ehemann und sein Helfer in der Eile die Arme. Nach drei Tagen entdeckten Nachbarn die Frau, ihren Liebhaber und die Puppe. Seither reden die Leute von San Simón, der die Untreue bestraft habe.

Heute gibt es an mehreren Orten in den Bergen Guatemalas San-Simón-Puppen, die für alle Art von Wundern zuständig sind. Das große Geschäft hingegen läuft in San Andrés Itzapa. Wie „Manager“ Fermin Sal Cuc schweigt sich auch „Priester“ Vicente Pérez über seine Einnahmen aus. Er absolviert an diesem Tag noch zwei ähnliche Prozeduren wie die für Laura: Rubén Boch, 39, ein großer Mestize, will vom Alkohol loskommen, eine sechsköpfige Indio-Familie von ihren schlechten Träumen; sie bittet via Don Vicente um Gesundheit und gutes Einkommen. Insgesamt scheffelt er an diesem Tag rund 500 Mark – ein kleines Vermögen.

Doch neben den Betreibern der Kapelle und den Heilern profitieren noch mehr Leute von der Holzpuppe. Zum Beispiel die Busgesellschaft mit dem vielversprechenden Namen „Esperanza“ (Hoffnung), die die Abergläubigen aus der Hauptstadt in das 25.000 Einwohner zählende Kleinstädtchen karrt und ein Monopol auf die Strecke hat. „Wir, die wir von der Kapelle leben, glauben auch an San Simón“, sagt Devotionalien-Händlerin Luz Arenales. Sie verkauft kleine San-Simón-Figuren und massenweise Kerzen: rote für die Liebe, gelbe (Schutz), grüne (Geschäfte), rosafarbene (Gesundheit), blaue (Geld, Glück), weiße (Kinder) sowie braune gegen die Laster und schwarze gegen Neid und Feinde. Selbst Touristen kommen gelegentlich. „Ich bat hier vor einem Jahr um Liebe, Schutz und Gesundheit“, sagt Sola Oconnell, 35, aus den USA. „Ich bin nicht religiös. Aber San Simón funktioniert.“ Jetzt will sie danke sagen. 17 Uhr beginnen Helfer, den Hofplatz zu fegen. Eine Hündin hat es auf zwei nur leicht angekohlte Eier abgesehen, doch die hat auch der Bettler am Eingang der Kapelle entdeckt. Er humpelt herbei, verscheucht die Töle und sackt die Eier ein. „Die sind für zu Hause.“