1997, 1418, 5758, 1679 oder Jahr des Ochsen

■ Wer will, kann neunmal Neujahr feiern – über das ganze Jahr und die verschiedenen Religionsgemeinschaften verteilt. Die Zeitrechnung ist dabei hochgradig relativ

Wer gern Neujahr feiert, kommt in der Multikulti-Metropole Berlin auf seine Kosten. Denn nicht nur mitten im Winter wie die Christen, sondern über das ganze Jahr verteilt feiern die Angehörigen und Gläubigen der unterschiedlichsten Kulturen und Religionen den Jahreswechsel in ihren eigenen Zeitrechnungen. Der „interkulturelle Kalender“ aus dem Büro der Ausländerbeauftragten gibt Hinweise, wo man an welche Tür zu klopfen hat, um bei einem der insgesamt neun offiziellen Neujahren dabeizusein.

Den Anfang machen im kommenden Jahr nach dem westlich- christlichen und meist feuchtfröhlichen Silvesterabend die Tamilen: Am 14. Januar feiern sie Pongal, den ersten Tag des Monats Thai und damit den Beginn der Erntezeit. Am 7./8. Februar begehen die Buddhisten das Tet-Fest zur Begrüßung des neuen Jahres. Das Fest wurde durch die blutige Tet- Offensive des Vietcong 1968 im Vietnam-Krieg in aller Welt bekannt. Ebenfalls eine politische Demonstration ist in jedem Jahr das Neujahrsfest für Kurden, Iraner und Bahai: Am 21. März feiern sie Newroz.

Für die Volksgruppe der Sikh beginnt das nächste Jahr am 13. April. Die Moslems, größte Gruppe unter den MigrantInnen in Berlin, begehen das Neujahrsfest am 9. Mai. Den Eintritt in das religiöse Jahr der Buddhisten begehen die Gläubigen am Tag der Geburt, Erleuchtung und des Todes von Buddha – dem 21. Mai. Die Kopten, eine christliche Glaubensgemeinschaft aus dem Nahen Osten, begehen ihr Neujahr am 11. September. Das jüdische Neujahrsfest Roah ha-Shana schließlich wird in diesem Jahr am 2. Oktober gefeiert, ehe die Christen wieder am 1. Advent das Kirchenjahr und damit ihre eigene religiöse Zeitrechnung beginnen.

In welches Jahr man an Neujahr feiert, darüber gehen die Ansichten allerdings weit auseinander. Die Christen haben ihre Sicht der Dinge und Ereignisse im 6. Jahrhundert eingeführt und seitdem größtenteils durchgesetzt: Demnach begehen wir das Jahr 1997 nach der Geburt Christi – auch wenn allgemein anerkannt ist, daß die Kalendermacher das Jahr Null zu einem Zeitpunkt angesiedelt haben, an dem das Christkind schon sechs Jahre alt war. Die Moslems begrüßen im Mai voller Freude das Jahr 1418: Denn im Jahre 622 der christlichen Zeitrechnung beginnt für sie mit der Auswanderung des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina die Uhr zu ticken. Die Juden wiederum freuen sich im September auf das Jahr 5758 – soviel Zeit ist laut der Schöpfungsgeschichte der Bibel seit Erschaffung der Welt verstrichen. Für die Buddhisten wiederum beginnt im Februar nach dem Jahr der Ratte das Jahr des Ochsen.

Nicht nur die Zeit, sondern vor allem die Zeitrechnung ist relativ. Alle Kalender kämpfen damit, daß sich die Laufbahn von Mond, Sonne und Erde nicht in genau wiederholbaren Bahnen bewegen. Mit Schaltjahren, Schalttagen und Schaltmonaten wird diesem Manko des Universums nachgeholfen. Bei der Einführung des heute noch geltenden Gregorianischen Kalenders in Europa im 17. Jahrhundert fielen so ganze Tage und Wochen weg. Im buddhistischen Kalender muß in 19 Jahren siebenmal ein zusätzlicher Monat eingefügt werden. Im Jahre 1994 nach unserer Zeitrechnung gab es deshalb in der buddhistischen Welt den August gleich zweimal hintereinander.

Die Berechnung der Zeit steht auch im vermeintlich rationalen Mitteleuropa auf jungen und schwankenden Beinen. So feierte die Christenheit das neue Jahr noch bis 1691 (nach Christus) am 25. März, dem Feiertag Mariä Verkündigung. Erst seitdem rutschen wir an Silvester ins neue Jahr – dem Todestag des Papstes Silvester I., der im Jahre 355 nach Christi Geburt (oder dem, was er dafür hielt) starb. Und es gibt Historiker, die Hinweise darauf haben, daß das finstere Mittelalter zwischen den Jahren 600 und 900 n. Chr. überhaupt nicht stattgefunden hat. Wenn das stimmt, feiern wir also erst ins Jahr 1697 – auch das allerdings nur nach christlicher Zeitrechnung. Bernhard Pötter

Literatur: Gertrud Wagemann: „Feste der Religionen, Begegnung der Kulturen“, Kösel Verlag