Kontinente wie amorphe Wolken

Digitaler Countdown statt altbewährtem Zifferblatt: Vom neuen Jahr an präsentieren sich die Nachrichtensendungen der ARD im neuen Gewand. Eine einzige Liturgie in Blau, meint  ■ Dirk Nitschke

Was uns das neue Jahr bringt, haben wir im allgemeinen dem Jahreshoroskop entnommen. Was allerdings nicht darin stand, ist, daß die Welt gleich am ersten Fernsehabend aus den Fugen gerät: Die „Tagesschau“ hat ein neues Gesicht. Nicht, daß Dagmar Berghoff den Weihnachtsurlaub für eine kleine kosmetische..., nein nein, so ist es natürlich nicht... Lediglich das Erscheinungsbild der „Tagesschau“ wurde um einige Problemzonen erleichtert. Das Ganze nennt sich „Re-Design“ und ist nach allen Versuchen der privaten Konkurrenz, das Denkmal der ARD vom Sockel zu stürzen, eine längst überfällige Restaurierungsmaßnahme.

„Tagesschau“, „Tagesthemen“, „Nachtmagazin“, „Wochenspiegel“ und der „Bericht aus Bonn“ präsentieren sich nun „zeitgemäßer und emotionaler“, wie es die Presseinformation formuliert, und unter einem visuellen Dach. Die neue „Tagesschau um fünf“ soll mit neuen Moderatoren und längerer Sendezeit die Nachrichtenleiste verjüngen. Damit betont die ARD ihre Stärke in der Information und setzt den Weg einer konsequenten Markenplanung fort.

So mußte alles, was nicht unter Denkmalschutz stand, bei der „Tagesschau“ dran glauben: Das Zifferblatt, das drohend verkündete, daß es für die Welt bereits kurz vor acht ist, wurde durch einen digitalen Countdown ersetzt. Die dreidimensionale Typographie wanderte mit der Phalanx glitzernder Glasfasern auf den Sondermüll, um einem plakativen Schriftzug vor blauem Planeten Platz zu machen. Was bleibt, ist die von Fanfaren untermalte Begrüßungsformel, die seit über 40 Jahren den Prolog für Krisen, Kriege und Katastrophen liefert: „Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau.“

Das „bundesdeutsche Hochamt der täglichen Bestandsaufnahme“ (Der Spiegel) verkündet ab dem 1.Januar solider denn je, was die Wahrheit ist – und setzt auf die gelernten Insignien von Glaubwürdigkeit und Seriosität. Professionelle Unterstützung holte sich das Erste bei einer erfahrenen Adresse für Senderdesign: der Wiener Agentur DMC und dem Hamburger Büro X. Während DMC das Erscheinungsbild von premiere und dem ORF entwickelte, waren die Hamburger für die Imagewerbung der ARD verantwortlich.

Daß die Farbe Blau den eher kühl und distanziert empfundenen Sender identifiziert, haben die Grafikstrategen bei der Neugestaltung der „Tagesschau“ eifrig ausgenutzt. Blau dominiert jetzt den Hintergrund, auf dem sich die Kontinente wie amorphe Wolkenbilder darstellen.

Blau ist auch die passende Farbe, den öffentlich-rechtlichen Liturgen der glaubwürdigen Nachricht einen hochwürdigen Rahmen zu verleihen. Ulrich Wickert und die Kollegen der „Tagesthemen“ erscheinen – im wahrsten Sinn des Wortes – als erhellte Lichtgestalten über irdischen Wirren. Ein „warmes Licht und eine plastische Modellierung der Köpfe“, so das erklärte Ziel, soll die Distanz zu den Moderatoren verringern – und die Glorifizierung der Frontfiguren vermutlich erhöhen.

Dennoch wird man den Eindruck nicht los, daß die Veränderungen der neuen „Tagesschau“ zaghaft sind. Obwohl die Bild- und Textinformationen nun auf verschiedenen Ebenen abgebildet werden, was das Gebrauchsdesign bei Computern zitiert, und obwohl die Info-Grafiken sachlich und reduziert erscheinen, provoziert sie höchstens durch Verzicht. Sie verzichtet auf den Farbrausch der privaten Fernsehanbieter, auf gespielte Journalistenhektik in der Kulisse und auf ein Set-Design, das das Gespräch am Nachrichtentresen zelebriert.

Anders als die Konkurrenz, die ihre grafischen Innovationen laut ankündigt und damit Angriffslust signalisiert, setzt das neue Outfit der öffentlich-rechtlichen Informationssendung nur ein Signal: „Hurra, wir leben noch!“

Die Sendung hat die Frontangriffe und den Spott der kommerziellen Sender überlebt, allerdings nicht ohne Kratzer davonzutragen. Die Versuche, das Flaggschiff der ARD durch das Bombardement der 20-Uhr-Marke zu versenken, können aber als gescheitert gelten. Es bleibt zu hoffen, daß sich die Verantwortlichen nicht durch den Respekt Helmut Thomas inspiriert fühlen und sein Wort beim nächsten Re-Design in die Tat umsetzen: Die „Tagesschau“ könnte mit zwei brennenden Kerzen in Latein verlesen werden und hätte immer noch die höchsten Einschaltquoten.