Und wie die Mär entsteht

Indem Kohlhammer die These vom Feindbild Islam bestreitet, strickt er selbst kräftig daran. Sein Fehler liegt darin, daß er, wie üblich, sträflich pauschalisiert  ■ Von Gernot Rotter

Es gibt im Westen gar kein Feindbild Islam, sondern der Islam ist der Feind. Dies ist, auf einen Nenner gebracht, die These von Siegfried Kohlhammer in seinem Buch „Die Feinde und die Freunde des Islam“. Wir im Westen sind nämlich viel zu gute und zu aufgeklärte Menschen, als daß wir ein Feindbild nötig hätten. Daß Kohlhammer mit seinem Buch das beste Zeugnis für die Existenz eines solchen Feindbildes liefert, ist ihm selbst – und auch dem Rezensenten – offenbar gar nicht aufgegangen.

Kohlhammer wird Beifall bekommen – von den radikalen Islamisten, die schon immer wußten, daß der Westen der Feind des Islam ist, und die deshalb auch von Samuel Huntingtons prophezeitem clash of cultures so begeistert sind.

Gewiß kann niemand leugnen, daß die islamische Welt eine äußerst kritische Phase durchlebt, in der die Religion in zum Teil barbarischer Weise instrumentalisiert wird, um – sei es von oben, wie im Iran, Saudi-Arabien und Sudan, oder von unten wie zum Beispiel in Algerien und Ägypten – Menschenrechtsverletzungen der verschiedensten Art zu rechtfertigen. Die Gefahr, daß die drei so eng verwandten und weitgehend auf gemeinsamen Fundamenten basierenden monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam in dieser Weise mißbraucht werden, bestand und besteht immer. Aus den Steinbrüchen der normativen heiligen Texte lassen sich beliebige Brocken herausbrechen, um sie dem jeweiligen Gegner an den Kopf zu werfen. Die Geschichte ist voll mit Belegen dafür. Die militanten israelischen Siedler dokumentieren dies aufs beste für das Judentum, und fundamentalistische Strömungen, zumal in den USA, zeigen, daß auch das Christentum noch längst nicht immun dagegen ist.

Ob nun real existierender Feind oder „nur“ Feindbild, die große Gefahr, die von solchem Gerede produziert wird, ist, daß man den clash of cultures so lange herbeiredet, bis die Prophezeiung Realität wird.

Kohlhammer warnt eindringlich vor einer Politik des appeasement gegenüber der islamischen Welt. Sein Fehler liegt – und dies ist allen Feindbildproduzenten auf beiden Seiten gemein – darin, daß er sträflich pauschalisiert. Niemand wird es gutheißen, wenn die iranische Regierung fortfährt, unliebsame Literaten ganz oder zeitweise in den Folterkammern des Geheimdienstes verschwinden zu lassen, und es ist ebenso unerträglich, wie sich der Iran im Zusammenhang mit dem „Mykonos“- Prozeß erdreistet, die deutsche Justiz unter Druck zu setzen. In der Tat ist es nicht zu vertreten, daß Bonn angesichts solcher menschenverachtender zynischer Arroganz unbeirrt an einem folgenlosen „kritischen Dialog“ festhält. In solchen Fällen, zumal wenn Deutschland direkt involviert ist, müssen diplomatische und letztlich auch wirtschaftliche Konsequenzen gezogen werden.

Gerade am Beispiel der bedrohten und verfolgten Literaten läßt sich aufzeigen, wie gefährlich die pauschale Verteufelung des Islam und – wie bei Kohlhammer – des gesamten islamischen Kulturraums ist. Manche dieser Schriftsteller mögen keine tiefgläubigen Muslime sein. Aber sie verstehen als Kulturmuslim, so wie sich sogar die meisten Atheisten bei uns gewiß die Bezeichnung „Kulturchrist“ gefallen lassen würden. Und diese Kulturmuslime geraten in der herbeigeredeten kulturellen Polarisierung in gefährlicher Weise zwischen die Fronten. Dabei handelt es sich bei ihnen gerade um die aufgeklärtesten, am meisten demokratisch gesinnten Intellektuellen, die für entscheidende Reformen in den jeweiligen politischen Systemen eintreten, gleichzeitig aber an ihrer kulturellen Identität, und die ist eben islamisch geprägt, festhalten wollen.

Feindbildproduzenten vom Schlage Kohlhammers vermitteln bei ihren Lesern das fatale Gefühl, daß nicht nur der gläubige Muslim, sondern der Orientale überhaupt aufgrund seiner spezifischen Mentalität zur Umsetzung von Demokratie und Menschenrechten überhaupt nicht fähig sei, ja, sie gar nicht verdiene. Und damit entpuppen sich solche Feindbilder als europazentristische Arroganz und Rassismus.