Zwei Lieblingsfeinde unter sich

Die Schach-Weltmeister Kasparow und Karpow trennen sich mit einem Remis und opponieren gegen die WM-Pläne des Weltverbandes  ■ Aus Las Palmas Stefan Löffler

Als „Duell des Jahres“ war es angekündigt, das erste Aufeinandertreffen zwischen Anatoli Karpow und Garri Kasparow seit 33 Monaten. Was die beiden russischen Weltmeister am frühen Sonntagabend beim Turnier der weltbesten Sechs in der kanarischen Hauptstadt zu Brett brachten, langweilte zwar die Mehrzahl der Zuschauer, entbehrte aber nicht subtiler Momente.

Mit Motorradstreifenbegleitung und Polizeisirene werden die Großmeister einzeln vorgefahren. Der notorisch unpünktliche Karpow als letzter, fünf Minuten nach dem vorgesehenen Spielbeginn. Anderswo wäre das zu Lasten seiner Bedenkzeit gegangen. In Las Palmas warten alle höflich auf den Champion des offiziellen Weltverbandes FIDE. Endlich läuft der 46jährige Russe ein, begrüßt seinen Lieblingsfeind Kasparow (33) und wird, als er sich gerade setzen will, vom Organisationschef zu sich gewinkt. Drei lokale Politiker möchten noch Karpows Hand schütteln.

Die sechs Brettspieler wirken zwischen den Fotografen und Polizisten wie Bühnenmobiliar. Auf der Wand hinter den Schachtischen läuft längst eine Diashow mit Inselmotiven, als die Uhren gedrückt werden. Noch wenige Minuten Blitzlicht und Geschäftigkeit, dann sind die Hauptdarsteller endlich unter sich.

Zumindest bei den Journalisten wird ihnen die Show noch einmal gestohlen. FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow gibt draußen eine Pressekonferenz. Wenn Karpow gegen Kasparow, den Weltmeister, der nur noch auf dem Papier existierenden Professionellen Schachvereinigung (PCA) antreten möchte, sei das in Ordnung, aber eine reine Privatsache der beiden Champions. Die FIDE bleibe bei ihrer schon vor Jahresfrist erklärten WM-Reform. Ab 17. Dezember 1997 sollen im kalmückischen Elista 99 Spieler den Weltmeister „per K.-o.-System wie beim Tennisturnier in Wimbledon“ bestimmen. Karpow und Kasparow werden Freiplätze im Halbfinale und damit 375.000 Dollar Preisgeld gerantiert. 6.000 Dollar gibt es für die Verlierer der ersten Runde. 1,37 Millionen beträgt die Siegesbörse. Insgesamt sollen fünf Millionen ausgeschüttet werden – gesponsert von der im Süden Rußlands gelegenen Republik Kalmückien, die Iljumschinow regiert, als wäre sie sein Privatbesitz. Sein Geld, Kalmückiens Geld, es macht keinen Unterschied, wie er den Journalisten erklärt.

Derweil hat Karpow die ersten Züge mit Weiß ohne Ehrgeiz ausgeführt und kommt bald einen Tick schlechter, aber nicht wirklich gefährdet zu stehen. Kasparow, von dem kaum einer glaubt, daß er dem WM-Turnier der FIDE seinen Segen geben wird, behält das Jackett an. Will sagen, er hat alles unter Kontrolle. Links neben Karpow und Kasparow remisieren der Inder Anand und der Bulgare Topalow. Rechts läßt der ukrainische Großmeister Iwantschuk seinen russischen Kollegen Kramnik alt aussehen. Nur am Tisch der Weltmeister plätschert die Partie fast ereignislos vor sich hin. Figurenpaar für Figurenpaar wandert vom Tisch, ohne daß die Symmetrie der Kräfte gestört würde.

Fünf WM-Kämpfe trugen Karpow und Kasparow zwischen 1984 und 1990 miteinander aus. Bereits jetzt haben sie einander mehr als einen Monat ihrer Lebenszeit am Brett bekämpft. Jeder weiß um die Stärke des anderen und die Gefahr einer Blöße. Nach knapp vier Stunden wird die Bedenkzeit knapp. Zunächst bei Kasparow, der sich hastig aus dem Jackett windet und es über den Drehstuhl hängt. Doch Karpow traut sich nicht, den schärfsten Weg einzuschlagen. Die langschrittigen Türme werden getauscht, und Kasparows vorteilhafte Bauernstellung ist wieder ein bißchen wichtiger. Schließlich fehlt beiden die Zeit zum Mitschreiben. Ein Schiedsrichter springt ein. Jeder hat Angst, in den zugeteilten zwei Stunden einen Zug weniger als die geforderten 40 zu machen. So zocken sie drei Züge über das Soll.

Kasparow beschließt, daß es genug ist, kopiert die Notation des Schiedsrichters und eilt in den Aufenthaltsraum. Karpow prüft die wenigen noch verbleibenden Möglichkeiten sorgfältig. Kasparow kommt zurück. Zum Remisgebot zuckt er mit den Schultern. Für einen Handschlag fehlt in diesem Moment die Kraft. Aber nicht für die freundlich plaudernd durchgeführte Analyse, die fast eine Viertelstunde dauert. Im 40.Zug also verpaßte Kasparow seine einzige Gewinnchance. Karpow gesteht es ein, und Kasparow lächelt ein bißchen.

Selten gingen die zwei Schachgrößen so nett miteinander um wie in Las Palmas, was wohl auch daran liegt, daß beide sehr interessiert daran sind, im nächsten Herbst erneut gegeneinander zu spielen. Und zwar im alten Stil – über 20 Partien und für sehr viel Geld. Die Veranstalter des noch bis zum Wochenende laufenden Superturnieres auf Gran Canaria wären durchaus daran interessiert, den Kampf um den Titel des wahren Weltmeisters auszurichten. Nur hätten sie gern das Plazet des Weltverbandes, um der Sache einen offiziellen Anstrich zu verleihen und sie besser vermarkten zu können.

Doch Iljumschinow denkt nicht daran, den Superstars des Schachs entgegenzukommen, solange diese nicht sein K.-o.-Turnier absegnen. „Wenn Kasparow und Karpow einen Vertrag mit Garantien unterzeichnen, die für die FIDE befriedigend sind, könnten wir unsere Entscheidung von heute modifizieren“, sagte der Verbandspräsident in Las Palmas, fügte aber hinzu: „Ich bin sehr pessimistisch in dieser Sache.“