Hamburgs verbannte Tote

■ Die Inschriften des jüdischen Friedhofs in Altona werden erforscht

Nur eine kurze Wegstrecke vom pulsierenden Leben der Reeperbahn entfernt befindet sich der jüdische Friedhof an der Königstraße in Altona. Die bereits 1869 geschlossene Begräbnisstätte gilt als eines der bedeutendsten Denkmäler jüdischer Geschichte im norddeutschen Raum. Seit einigen Jahren werden die Inschriften der stark verwitterten Grabsteine wissenschaftlich erschlossen. Die Historikerin Gaby Zürn vom „Institut für die Geschichte der deutschen Juden“ (IGDJ) in Hamburg ist mit dieser Aufgabe seit 1988 betraut.

Der Ursprung des Begräbnisplatzes geht auf das Jahr 1611 zurück. Aus Portugal eingewanderte Juden, Sepharden genannt, hatten ein Stück Land im damals nicht zur Hansestadt gehörenden, liberaleren Altona gekauft. In Hamburg durften sie ihre Toten nicht bestatten. Später wuchs dieser Friedhof mit dem der aus Ost- und Mitteleuropa stammenden aschkenasischen Juden zusammen. Viele herausragende jüdische Persönlichkeiten fanden hier ihre letzte Ruhe. Zum Beispiel Samson Heine, der Vater von Heinrich Heine, Frommet, die Frau von Moses Mendelssohn, oder der Arzt Rodrigo de Castro, der Begründer der Gynäkologie. Seit 1960 steht das Areal unter Denkmalschutz.

Zum Zeitpunkt der Schließung befanden sich auf dem Begräbnisplatz insgesamt 8474 Steine. „Die aschkenasischen heben sich durch die Inschriften hervor, die sephardischen durch die aufwendige Gestaltung und umfangreiche Symbolik“, sagt Gaby Zürn. Biblische Motive oder Vergänglichkeit symbolisierende Sanduhren zieren einige der 1806 Steine auf dem portugiesischen Teil. Segnende Hände und Levitengeschirr wie Kanne und Schale findet man ausschließlich auf Gräbern, in denen Männer bestattet wurden. Die Leviten besaßen das Privileg, den Priestern die Hände zu waschen. Weintrauben als Zeichen der Fruchtbarkeit dagegen wurden Frauen zugeordnet.

„Die Inschriften auf den Grabsteinen enthalten als Grundelemente neben Sterbe- und Beerdigungsdatum den Namen und Vatersnamen, bei Frauen den des Ehemanns. Manchmal ist das Sterbedatum in einem Spruch versteckt. Dann muß man ein bißchen rechnen“, sagt Frau Zürn. Häufig finden bei Männern der Beruf und die Stellung in der Gemeinde Erwähnung. Bei Frauen werden außer Gemeindefunktion und Kinderzahl auch Attribute wie Schönheit oder ,Krone des Mannes' genannt. Aber auch Zitate aus der religiösen Literatur sind zu lesen.

Die aschkenasischen Juden versahen die Gedenksteine bis ins 19. Jahrhundert nur mit hebräischen Inschriften. Lateinische Lettern und die christliche Zeitrechnung waren verboten. „Erst seit der Zeit der Emanzipation der Juden ist auf der Rückseite der Steine der deutsche Text eingemeißelt.“ Ob die Historikerin das Projekt zum Abschluß bringen kann, ist noch ungewiß, denn die finanziellen Mittel des Hamburger Instituts sind stark begrenzt.

Volker Stahl