Was Mädchen dürfen, ist Jungs verboten

■ Österreich hält an der Altersgrenze 18 für schwulen Sex mit Erwachsenen fest

Wien (taz) – An der strengen Überwachung des Abstimmungsverhaltens der Abgeordneten der Volkspartei (ÖVP) und der rechtspopulistischen FPÖ ist am Mittwoch im österreichischen Nationalrat die längst fällige Senkung des Alters für die sexuelle Eigenverantwortlichkeit männlicher Jugendlicher gescheitert. Eine Initiative der aus SPÖ, Grünen und Liberalem Forum gebildeten „Plattform gegen Paragraph 209“ wurde mit 91:91 knappstmöglich abgeschmettert.

Der Paragraph 209 StGB aus dem Jahr 1975 stellt sexuelle Kontakte unter Männern unter Strafe, wenn einer von ihnen jünger ist als 18 Jahre ist. Mit dieser Schutzgrenze liegt Österreich gemeinsam mit den baltischen Staaten und Liechtenstein europaweit an der Spitze. Eine Senkung des Schutzalters auf 14 Jahre, das für weibliche Jugendliche längst gilt, egal ob sie heterosexuellen oder lesbischen Sex mit Erwachsenen haben, stand seit langem auf dem Kalender der Legislative. Neben der in dieser Frage gebildeten Ampelkoalition hatten sich auch mehr als ein Dutzend Abgeordnete aus ÖVP und FPÖ für die Abschaffung des Paragraphen ausgesprochen. Und von den 15 Experten, die im Justizausschuß angehört wurden, sprachen sich 13 vorbehaltlos für die Streichung des 209 aus. Dennoch empfahl der Ausschuß dessen Beibehaltung.

Im Namen des „Schutzes von Ehe und Familie“ setzte die Volkspartei eine namentliche Abstimmung durch, um das Ausscheren aus dem Fraktionszwang zu verhindern. Nur der Schauspieler Franz Morak (ÖVP) und der ehemalige Justizminister Harald Ofner (FPÖ) trotzten dem Druck. Die ÖVP-Abgeordnete Ridi Steibl brach in Tränen aus, als sie unter den strengen Augen von Fraktionschef Andreas Khol gegen ihr Gewissen votieren mußte.

Versuche der Homosexuellenlobby, die Dissidenten zum Verlassen des Plenums zu überreden, um das Quorum zu senken, scheiterten ebenso wie das Pokern der Plattform, die darauf vertraute, daß doch noch einige Parlamentarier der Gegenseite ihr Rückgrat bewahren würden. Die mit Spannung verfolgte Debatte brachte also eine typisch österreichische Lösung: Es bleibt alles beim alten. Daß bei einer getrennten Abstimmung das Werbeverbot für homosexuelle Kontakte fiel, ist zwei FPÖ-Abgeordneten zu verdanken, die sich vorzeitig verabschiedeten.

Ein weiterer kleiner Trost für Österreichs Schwule: In der Praxis der Rechtsprechung spielt Paragraph 209 kaum mehr eine Rolle. Wurden 1988 noch 146 Personen angezeigt und 38 verurteilt, gab es im Vorjahr nurmehr 35 Anzeigen und 17 Verurteilungen. Ralf Leonhard

Kommentar Seite 10