Die Herrlichkeit des Schmock

■ Sloweniens Gesamtkunstwerk Laibach ist wieder auf dem Kriegspfad

Man schrieb das Jahr 1983, als der musikalische Arm des retrogaristischen Künstlerkollektivs Neue Slowenische Kunst aus Ljubljana unter dem Namen Laibach zum erstenmal deutschen Bühnenboden betrat, und der damalige Booker des alteingesessenen Hamburger Musikclubs Kir war mehrfach auf dem Sprung, dem soldatisch breitbeinig präsentierten Lärm den Strom abzudrehen. Uli Rehberg jedoch, Betreiber des Labels „Walter Ulbricht Schallfolien“, das in der Folge die ersten Platten von Laibach veröffentlichen sollte, fühlte sich spontan an Pasolinis Film „Die 120 Tage von Sodom“ erinnert, in dem einer der Peiniger den Satz spricht: „Wir Faschisten sind doch die eigentlich wirklichen Anarchisten.“

Das alles ist längst Geschichte, ebenso wie Laibachs Coverversionen der Stadionrock-Anthems „One Vision“ von Queen und „Life Is Life“ von Opus, durch Eindeutschung und Fanfarengeschmetter völlig umdefiniert, oder die von Blut-und-Boden-Emblematik, Proletkult und reichsparteitäglicher Beflaggung überfrachteten Konzerte. Alles Teil einer „semiologischen Kriegsführung“, wie Katja Diefenbach in der Spex schrieb, deren Ursprung in einer ironisch gemeinten, aber bitterernst geführten ästhetischen Auseinandersetzung mit realsozialistischer Herrschaftsästhetik zu suchen ist.

Über monumental dröhnenden Paukenschlägen und choraler Herrlichkeit raunzte in kaum mehr menschlich zu nennender Baßlage eine Stimme Sätze wie „Gib mir ein Leitbild!“ oder „Die ganze Nacht feiern wir Einigung, ja, jawoll!“ Das war lustig und erschröcklich zugleich und stellte im Zusammenhang von Nachrüstungsbeschluß, drittem Weg und später Glasnost eine grobe Irritation für östliche wie für westliche Ideologen dar. Hier existierte ein Gesamtkunstwerk, das die Idee von der Selbstaufgabe des Subjekts im Staat auf die Ebene der Popkultur transferierte und dabei kollektivistische, völkische, stalinistische und revanchistische Emblematiken undurchdringbar verflocht und sich so jeder Verortung im Ost-West-Gegensatz entzog.

„Wir übersetzen die Dinge in das, was sie wirklich sind“, sagt Ivan Novak, Laibachs Pressefunktionär, der im gedeckten Zwirn und mit regungsloser Freundlichkeit einem hochrangigen Scientologen ähnelt. Die Klarstellung scheint nötig, denn wir schreiben das Jahr 1996, und mit dem Abdanken des Ostblocks ist das totalitäre Pathos, das den brenzligen Ruhm Laibachs begründete, längst kein Politikum mehr, sondern konstituierendes Element von RTL- Boxnächten, Michael-Jackson-Videos oder gehobenen Turnschuh- Werbespots. Laibachs letzter Coup liegt zwei Jahre zurück, damals verwandelte sich das Kollektiv für ein Album in eine bessere Nato, die einen Tag nach der Unterzeichnung der Friedensverträge und drei Tage vor Einmarsch der wirklichen Allianz in Sarajevo ein monumentales Konzert gab.

Eurodisco, Ballertechno und wagnerianischer Pomp dekorierten die Idee einer supranationalen militärischen Macht, die endlich die Vision einer monolithischen Weltordnung durchsetzen könnte. Während hier das Grauen einer heldischen Rave- und Rock- Kriegshymnik noch als anstößige Umarbeitung der Corporate identity einer existierenden politischen Macht war, widmen sich Laibach in ihrem neuesten Werk einem Geisterreich von eigenen Gnaden: „Jesus Christ Superstar“ heißt es, raunt mit Webbers gleichnamigem Rockopern-Thema, Prince „The Cross“ sowie diversen Originalschwarten leitmotivisch von höheren Mächten und spricht aufs schwülstigste die Sprache des Crossover-Metal.

Plansoll erfüllt, sollte man meinen, zumal flankierende Verlautbarungen wortreich von Cyberconfusion, Moralvakuum und der Rückkehr des Hollywood-Superhelden künden. Und doch scheint dem diesjährigen Laibach-Upgrade das Verschlagene der älteren Versionen zu fehlen, denn es ist nichts daran anstößiger, als der Mainstream selbst. Es sei denn, alles wäre doch ganz anders, und Laibach hätten den einzig möglichen und richtigen Weg beschritten, indem sie sich mit dem Schmock gleichnamig gemacht haben. Dann bestünde der Fanatismus, den laut NSK-Statuten die Kunst darstellen muß, in der Auslöschung jeder Differenz zwischen Original und Überzeichnung. Und die Schönheit, die es laut Walter Ulbricht nur im Kampf gibt, läge darin, unbehelligt in den Charts zwischen Rammstein und Vangelis, zwischen Krupps, Enigma und den Eurodance-Remixen von Queens Greatest Hits Platz zu nehmen. „Das Wichtige ist“, sagt Ivan Novak, „daß man sich irritiert fühlt.“

Denn das ist es, was Rockmusiker zu ihren jeweils neuen Alben zu sagen pflegen, und es bedeutet: Die totalitaristische Zuspitzung der Rockband ist die Rockband selbst. Christoph Twickel

Tourdaten: 26. 11. Köln, 27. 11. Stuttgart, 28. 11. Dresden, 30.11. Potsdam, 1. 12. München, 2. 12. Frankfurt