Der erfundene Terrorist

■ Fall Seidler blamiert BKA und Bundesanwaltschaft

In Karlsruhe gibt es noch Richter. Das ist die erfreuliche Nachricht des Wochenendes. Über zehn Jahre lang galt Christoph Seidler als Terrorist, fünf Jahre als Mörder. Nun löst sich der „dringende Tatverdacht“ in nichts auf. Kann man darüber zur Tagesordnung übergehen, weil es falsche Verdächtigungen immer gab? Gehört zum Rechtsstaat auch das Recht auf irrtümliche Anschuldigungen? Die Antwort lautet: Ja – wenn Fehler erkannt und eingestanden werden.

Danach sieht es nicht aus. Als der talentierte Märchenerzähler Siegfried Nonne 1991 von BKA und Bundesanwaltschaft monatelang befragt wurde, wußten alle Beteiligten, wie es um ihn stand. Man hat dem schwankenden Kronzeugen seine Geschichten nicht diktiert, aber stets auf die Version festzulegen versucht, die Christoph Seidler zum skrupellosen Politverbrecher stempelte. Das Motiv war der Erfolgsdruck eines Apparats, der mit höchstem Aufwand Erfolglosigkeit produzierte. Nicht nur im Fall Herrhausen standen die Fahnder vor dem Offenbarungseid. Öffentlichkeit und Politik drohten zu erkennen, daß der Polizeiapparat zum Kampf gegen die politisch motivierte Gewalt der RAF prinzipiell nicht taugt. In dieser Situation griffen die Verantwortlichen nach dem Strohhalm. Sie wollten Nonne glauben und feierten ihren Glauben als Erfolg.

Und sogar als sich Christoph Seidler zurückmeldete und im Wochenrhythmus immer neue Belege für seine Unschuld auf den Schreibtischen der Karlsruher Bundesanwälte und der Terrorismusfahnder des BKA landeten, blieben die Behörden stur. Noch am Freitag kämpften die Bundesanwälte vor dem Ermittlungsrichter um die Glaubwürdigkeit ihres Zeugen Nonne. Gesicht wahren um jeden Preis – und sei es den der Wahrheit.

Immerhin, auf eine Beschwerde gegen die Haftaufhebung für Seidler haben die Oberankläger zähneknirschend verzichtet. Jetzt wäre eine Entschuldigung fällig. Bei Seidler, der jahrelang als blutrünstiger Killer durch die Gazetten geisterte. Und bei der Familie Alfred Herrhausens, der jahrelang der Eindruck vermittelt wurde, man kenne seine Mörder und werde sie beizeiten hinter Gitter bringen. Es wäre viel gewonnen, wenn jemand sagen würde: Mea culpa. Gerd Rosenkranz

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