Wer richtet die Richter?

■ Der Umgang von DDR-Richtern ist problematisch: Machten sie sich der Rechtsbeugung schuldig oder nicht?

Berlin (taz) – Kann man die DDR-Richter für ihre Urteile gegen Systemkritiker zur Verantwortung ziehen? Die bundesdeutsche Justiz hat ungezählte Ermittlungsverfahren eingeleitet und einige auch mit Verurteilungen abgeschlossen. Es geht in diesen Verfahren um Richterinnen und Richter, die Menschen verurteilten, weil sie ausreisen wollten, Westkontakte hielten und so fort. Zu DDR-Zeiten stützten die Richter ihre Sprüche auf das politische Strafrecht der DDR. Heute wird dieses Vorgehen zum Teil als Rechtsbeugung gewertet.

Während der dreitägigen Tagung der evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg zum Thema „Wer richtet die Richter“ ging es nicht allein um eine Rekonstruktion der bisherigen Rechtssprechung. Ein breit gefächertes Publikum, Referenten aus Ost und West, Juristen und Historiker stritten vor allem um die Frage: Wie sieht ein adäquater Umgang mit „Systemunrecht“ aus? Roland Jahn, heute Redakteur des SFB, früher von der DDR-Justiz verurteilt, faßte das Problem deutlich, wenn er formulierte: „Nach der Wende hofften wir auf Gerechtigkeit. Wir mußten aber feststellen, daß der Rechtsstaat den Unrechtsstaat nicht aufarbeiten kann.“ Das gelte auch für die Richterschaft der DDR. „Wenn sie die Strafgesetze der DDR anwandten, sprachen sie eben Recht und machten sich einer Rechtsbeugung nicht schuldig.“

Auch Evelyn Kenzler, Rechtsanwältin und Vorsitzende der Vereinigung demokratischer Juristen (Ost), findet die Verfolgung von DDR-Juristen wegen Rechtsbeugung problematisch: Während der Tatbestand der Rechtsbeugung innerhalb eines Systems dazu diene, die Machtfülle der Richter zu beschränken, werde die Vorschrift nach Untergang des Systems auf einmal dazu verwandt, „Strafen gegen jene auszusprechen, die besonders staatstreu waren“.

Anders sieht es der Rechtsproffessor Günter Spendel. Er kritisiert die Rechtssprechung der bundesdeutschen Gerichte wegen allzu großer Milde gegenüber der DDR-Richterschaft. Der Bundesgerichtshof, so Spendel, habe die Voraussetzungen, unter denen wegen Rechtsbeugung verurteilt werden könne, derart eng gefaßt, daß so gut wie nie eine Verurteilung erfolgen würde. Bereits einmal habe die bundesdeutsche Justiz bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit sträflichst versagt, das dürfe nicht wiederholt werden. Für den Vergleich von NS- mit DDR-Richtern – er sprach von „Richtern in brauner und roter Robe“ – erntete Spendel heftige Kritik aus dem Publikum. Der Vergleich relativiere die Greueltaten der NS-Zeit.

In seinem Schlußwort faßte der Jurist und das Mitglied des Bundestags, Volker Kröning, das Problem im Umgang mit der DDR und dem Leid der Opfer noch einmal grundsätzlicher. Die justitielle Aufarbeitung müsse fast notwenig dort scheitern, wo das untergegangene System und dessen rechtliche Grundlagen nicht demokratisch legitimiert waren. Die Bundesrepublik mache einen fatalen Fehler, wenn sie suggeriere, die Opfer könnten sich an der Verurteilung der Täter rehabilitieren. Den Opfern gehe es oftmals nicht um die Bestrafung ihrer Peiniger. Sie wollten Zuwendung. „Wir haben nicht gelernt, uns um die Opfer zu kümmern. Unser Umgang mit der Vergangenheit ist viel zu stark an den Tätern orientiert“, resümierte Volker Kröning. Julia Albrecht