Wand und Boden
: Der frische Wind der Erinnerung

■ Kunst in Berlin jetzt: Kirsi Mikkola, Nina Hoffmann, Rémy Markowitsch, Andrea Scrima

Ganz entspannt im Hier und Jetzt: Kirsi Mikkola gibt der alten New-Age-Kamelle einen neuen, schönen Sinn. Eine neue, schöne Sinnlichkeit, in einer Form, die aus der Zeit stammt, als der Orient die große Mode war, und die Frau mithin eine Odaliske. „Wie hingegossen“ galt die großartige Pose in sich ruhender Weiblichkeit.

Kirsi Mikkola macht das wahr. Ihre „Odalisque in Combatpants“ oder ihre „Odalisque in Tan-T- Shirt“ sind halb lebensgroße, in matten, aber kräftigen Farben bemalte Gipsfiguren, die es sich auf dem Galerieboden bequem gemacht haben.

Mit breit hingestellten Beinen und weit aufgefächertem blonden Haar liegen sie sorglos auf dem Rücken, und auf den Bauch gedreht sinnieren sie zufrieden vor sich hin. Ihre Größe siedelt sie in dem ebenso post- wie pop-modernen Raum zwischen Dekorationsstück und Skulptur an. Diese Odalisken sind unbeschwert alltäglich. Eine künstlerische Fiktion.

Und auch die abstrakten Keramikknödel, mal mächtig und rauh geformt, mal kleiner und glatt, wirken urban und scheinen recht beiläufig in die Szenerie der drei Räume bei Gebauer & Thumm eingefügt. Als „die blauen Augen von Mr. A.“ oder als die schwarze „Mobius Society“ verweisen sie nicht auf ein (fehlendes) Podest der hohen Kunst, sondern auf den Rest, der immer und überall bleibt, unsere Neugierde reizt und uns in unserer Umgebung verankert.

Bis 23. 11., Di.–Fr. 14–18,

Sa. 12–16 Uhr, Torstraße 220

Nie blühte die rote Blume, sei sie Rose oder Mohn, dramatischer. Denn sie ist ein Mund. Kein schöner Mund, sondern ein rotes Loch, ein entsetztes „Oh!“. Es markiert den entscheidenden Punkt in dem fahlen, blassen Gesicht, das Nina Hoffmann bei Barbara Weiss vielfach variiert. Das blasse Gesicht erinnert an die Models von Marlene Dumas. Und trotz der Beunruhigung, die Hoffmanns Bildern eigen ist, kommen einem auch die Blumen von Georgia O'Keefe in den Sinn. Wenn bei dieser das Rot sachlich und klar im umgebenden Weiß und Grün sitzt, dann entwindet es sich bei Hoffmann dem Farbumfeld – wie die Schläuche sich den Mündern entwinden.

An Schläuche sind auch die Frauenkörper auf drei kleinen Kartons angeschlossen. Krankenstation, Laborexperiment, Prothesenmenschen, derlei Begriffe gehen einem durch den Kopf. Auf zwei anderen Tafeln treiben dicke schwarze Pinselstriche über das fein gestrichelte Gesicht. Es scheint wie hinter einem Gefängnisgitter zu leben. Doch die Metaphorik des Schmerzes verstellt das Bild nicht. Sie macht es vielleicht erst sichtbar.

Bis 21. 12., Di-–Fr. 12–18, Sa. 11–14 Uhr, Potsdamer Straße 93

Nie blühten rote Blumen, Rosen, Tulpen, Hyazinthen, prächtiger. Denn das „Blumenstück I“ von Rémy Markowitsch, das bis zum 1. 12. eine Wand bei Shift e.V. einnimmt, ist ein doppeltes. Markowitsch' Color Prints „Nach der Natur“ zeigen Abbildungen von Buchseiten, die von starkem Licht durchleuchtet wurden. Weil sie sich vorne und hinten auf dem durchleuchteten Blatt befinden, überlagern sich die Bilder.

So entstehen denkwürdige doppelköpfige Hunde, achtbeinige Kühe und andere Mutanten; so entsteht auch der dichte Eindruck des „Blumenstück II“, das bei Eigen + Art im Rahmen von Markowitsch' Einzelausstellung „Finger im Buch“ zu sehen ist.

Carl Spitzwegs Gemälde „Mönch und Rose“ gab den Titel. Der Duft der Rose ist der Duft der Rose, der den Mönch von seiner frommen Lektüre ablenkt. Der läßt aber den Finger im Buch, um an die gelesene Stelle zurückkehren zu können. Die Lektüre und ihre Bilder, die Bilder der Lektüre und die Lektüre der Bilder, in diesem Netzwerk der Lesarten operiert Markowitsch. Die Plotterausdrucke „ÄsopScans“, die er im Rahmen der Serie „Körper und Betrug“ in der Galerie Wohnmaschine zeigt, liefert der Flughafenscanner. Markowitsch ließ ausgestopfte Tiere, die Protagonisten der Tierfabeln Äsops, von der Sicherheitsanlage durchleuchten. Im Farbraum der Computergrafik liest sich Orange als organisches Material, blau als anorganisches und grün als Mischmaterial.

Es ist der dunkelblaue, fast schwarze Metalldraht, der die Tiere decodiert. Den Kletteraffen, die lauernde Katze gegenüber der winzigen Maus. Dieses Paar muß man gesehen haben.

Bis 7. 12., Di.–Fr. 14–18,

Sa. 11–17 Uhr, Auguststr. 26; bis 8. 12., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, Tucholskystraße 34/36

Bei Andrea Scrimas Installation „Shelf Life“ könnte es einem passieren, daß man selbst den merkenden Finger benutzt. Denn die Geschichte, die Scrima erzählt, steht dieses Mal im Buch geschrieben, und nicht an der Wand. Sie erzählt in kursiven Druckbuchstaben von der Künstlerin Sophie.

Sophie arbeitet in einer fremden Wohnung an einer Installation, die sie abbricht, weil ihr die Arbeitsumstände nicht geheuer sind. Vor allem, nachdem sie die weggeworfenen Fotos gefunden hat, die einer alten Frau gehörten, die in der Wohnung nebenan gestorben war.

Man könnte den Finger im Buch lassen, weil Andrea Scrima die Fotos, von denen in der Geschichte die Rede ist, an die Wände der museumsakademie berlin gepinnt hat. Daneben komplettieren drei Konsolen, auf denen bemalte und vertrocknete Früchte, zwei Äpfel und ein Häufchen Radieschen, auf Samtpolstern in Kristallglasschalen plaziert sind, sowie ein Tisch mit Leselampe, zwei Stühle und zwei Bücher (nämlich der englischen und der deutschen Fassung der Geschichte) „Shelf Life“. Die Fotos zeigen spielende Kinder am Meer oder eine junge Frau im gestreifen Badeanzug. Auf einem Bild hängen Wäschestücke zum Trocknen an der Leine. Der Wind hat sie aufgebläht und ihnen einen imaginären Körper wiedergegeben. Wie das Foto bannt Scrimas „Shelf Life“-Projekt diesen frischen Wind der Erinnerung fest, der die Dinge lebendig macht und luftig eins ins andere setzt, den Text, Sophie, die Künstlerin, und die Installation.

Bis 30. 11., Di.–Sa. 14–19 Uhr, Rosenthaler Straße 39 Brigitte Werneburg