Geschwollene Füße

Friedrich II. und Voltaire – eine Lesung im Schloß Bellevue  ■ Von Peter Walther

Nicht die Gedanken der Fürsten, sondern ihre Taten machen die Menschen glücklich.“ So mag Bundespräsident Herzog gedacht haben, als er am Donnerstag abend zu einer ganz besonderen Lesung ins Schloß Bellevue einlud: Walter Jens und Loriot lasen – moderiert von Karin Kiwus – den Briefwechsel zwischen Voltaire und dem preußischen König Friedrich II.

Die effektvoll mißlungene Verleugnung des Preußischen hat Loriot sein Leben lang in Szene gesetzt. Mit dem Part des preußischen Königs konnte er ganz in der Rolle aufgehen – er tat es genauso wie Walter Jens als Voltaire. Gekommen war die halbe Literaturprominenz der Stadt, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Volker Braun, Karl Mickel, Peter Wapnewski, Durs Grünbein, Hellmuth Karasek usw. Allesamt erhoben sich artig von den Plätzen, als das Staatsoberhaupt den Saal betrat. In bezug auf den Fortschritt der Menschheit scheinen die Lichter der Aufklärung im Schloß Bellevue noch lange nicht ausgegangen zu sein: Wie sollte es anders zu verstehen sein, wenn Herzog zum Ende seiner Einleitung zu bedenken gibt, „daß republikanische Würdenträger heutzutage selbstverständlich ganz anders beschaffen sind – und zwar besser“. Dem Publikum bleibt die beruhigende Ahnung, daß zum Erbe der Aufklärung auch ein guter Schuß Selbstironie gehört.

Friedrich der Große, wie ihn die Zeitgenossen nannten, hatte bekanntermaßen keine besonders hohe Meinung von der Literatur und Sprache seines Landes: „Ich finde eine noch halb barbarische Sprache vor, die in ebenso viele Dialekte zerfällt, wie Deutschland Länder und Gegenden aufzuweisen hat“, bemängelt er in seinem Aufsatz „Über die deutsche Literatur“, den er selbstverständlich in französischer Sprache verfaßte. Die Schriften des Frühaufklärers Christian Wolff, dessen begeisterter Anhänger er war, hat er sich aus dem Deutschen ins Französische übersetzen lassen, weil er sie nicht in jenem „Kauderwelsch, das aller Zierde entbehrt“, lesen mochte. Wie schlecht Friedrich auch über die deutsche Literatur schrieb, so hatte er doch eine Vision von deren kommender Größe: „Wir werden eigene Klassiker haben; jeder wird sie, um Gewinn aus ihnen zu schöpfen, lesen wollen.“

Daß einst seine eigenen Briefe dazugezählt werden würden, hat er nicht ahnen können. Über mehr als vier Jahrzehnte hinweg haben Voltaire und Friedrich Briefe gewechselt, von einigen Bedeutungspausen und einem längeren Aufenthalt Voltaires in Berlin unterbrochen. Der Kronprinz und spätere König, der bereits als Sechzehnjähriger einen Brief an seine Schwester mit „Frédéric le philosoph“ unterschrieb, näherte sich dem 18 Jahre älteren, schon berühmten Philosophen zunächst mit ungetrübter Ehrfurcht. In seinem ersten Brief an Voltaire variiert er dessen Worte „Wenn Gott nicht ist, so müßte man ihn erfinden“ und schreibt: „Voltaire läßt sich nicht imitieren, es sei denn, man wäre Voltaire“. Friedrich und Voltaire tauschen sich nicht nur über Philosophie und Zeitgeschehen aus, sondern auch über eigene Kunstbemühungen oder physikalische Experimente. Voltaire gibt dem Kronprinzen auf 1.000 Umwegen zu verstehen, daß es mit seiner französischen Orthographie hapert. Ein köstliches Mißverständnis spinnt sich um das angebliche Bildnis Friedrichs, das dieser seinem Philosophenfreund geschickt hatte. Als Voltaire erfährt, daß er das Bild von Sokrates in Händen hält („attische Plaudertasche“), schreibt er zurück: „Was gilt mir Sokrates, Friedrich lieb ich.“

Erste Mißhelligkeiten in dieser herzlichen Beziehung treten auf, als Voltaire sich zum geheimen Vermittler zwischen Frankreich und Preußen aufschwingen will. Nachdem Friedrich vier Jahre zuvor König geworden war, holte er 1750 den Philosophen nach Berlin. Die Zeit der persönlichen Begegnungen verlief jedoch enttäuschend bis katastrophal. Voltaire reiste gedemütigt aus Berlin ab und lebte die letzten zwei Jahrzehnte bis zu seinem Tod in der Schweiz. Es wurde klar, daß Distanz eine Bedingung für diese Freundschaft und für den geistigen Austausch war. Auch nach dem Eklat ging der Briefwechsel weiter. Über Jahrzehnte haben sich die beiden auch Berichte über den Zustand ihrer Gesundheit geliefert: Friedrich klagt über sich häufende Gichtanfälle, der hypochondrische Voltaire liegt, wie er schreibt, die meiste Zeit schon im Sterben. Voltaire hat seine Illusionen, daß Friedrich etwas anderes denn Machtpolitik betreiben werde, längst verloren. Der König, der ihn bei seiner Krönung einst angefleht hatte, ihm „einfach als Menschen“ zu schreiben, verwahrt sich jetzt gegen die geistvollen Respektlosigkeiten Voltaires. Aber das ist eigentlich nur ein Spiel, denn beide wissen, daß sie auf der Ebene des Wortes gleichrangig sind. So wird der König seine Freude daran gehabt haben, als er von seinem Freund zu lesen bekam: „Mehr denn je werfe ich mich Ihnen zu Füßen. Mit Herzen hoffe ich, daß sie nicht mehr geschwollen sind.“