■ Angemerkt
: Falsches Alibi

Seit George Orwell wissen wir, daß eine Schweinerei größer ist als die andere. In seiner Parabel „Die Farm der Tiere“ erobern die Schweine ihre Macht, indem sie zwar rigoros „Gleichheit für alle“ fordern, nur, einige sind halt „gleicher als die anderen“.

Vom Vorstandssprecher der Grünen, Jürgen Trittin, haben wir in diesen Tagen erfahren, daß die prinzipielle Logik von „Radio Eriwan“ noch keineswegs überholt ist.

Im Prinzip hat Trittin zwar eingesehen, daß sich die gegenwärtige labile Ruhe in Bosnien auf absehbare Zeit nur mit ausländischen Truppen stabilisieren läßt. Dies bedeute aber in der Tat nicht, so der Politiker, daß deutsche Soldaten der Friedensstreitmacht angehören müßten.

Warum nicht? Weil die Verbrechen deutscher Soldaten in Jugoslawien, und nicht nur dort, unendliches Leid verursacht haben. Verständlich, daß einen Unbehagen erfaßt, wenn wieder deutsche Landser im Balkan stehen.

Was würden Trittin und ähnliche Schwafler sagen, wenn sich die Vereinigten Staaten mit dem Alibi ihrer blutigen Vergangenheit, vom Völkermord an den Indianern bis zum Krieg in Vietnam, aus ihrer Verantwortung für den Frieden in Bosnien davonmachen würden – mitsamt den Afghanistan-„erfahrenen“ Russen, den „kolonialerprobten“ Engländern, Franzosen, Holländern, Belgiern und anderen Drückebergern?

Stellt euch vor, alle wollen den Krieg beenden, aber niemand geht hin und tut's. Sollen sich die Wahnsinnigen „dort unten“ doch die Köppe einschlagen – Hauptsache, wir bleiben ungeschoren. Eine gute, politisch korrekte Ausrede ist schnell zur Hand.

Das schweinische Alibi ist keineswegs auf die Außenpolitik begrenzt – wär' ja noch schöner! Es läßt sich auch innenpolitisch, ja selbst im Privatleben trefflich ausbeuten.

Rechte Politiker, und leider nicht nur sie, trachten danach, möglichst rasch möglichst viele Asylsuchende abzuschieben. Warum? Den Fremden geht's in Deutschland nicht gut. Wie wahr! Sie frieren, haben keine Arbeit und verstehen unsere Sprache nicht. Also ab mit ihnen in ihre sonnigen Heimatländer, wo sie von Folter- und Henkersknechten in der Muttersprache „betreut“ werden. Sorry, aber sind wir Deutsche, Europäer usw. dazu da, im Alleingang das Leid der Welt zu beheben? Wozu gibt es Kirchen und die UNO?

Und weshalb soll man sich um mißhandelte Kinder, Junkies und vergewaltigte Frauen kümmern? Dabei bekommt man nichts als Ärger mit Eltern, Dealern und Ehemännern und ein schlechtes Gewissen obendrein. Denn wer hat nicht seinem Kind mal eine gescheuert?

So geraten die Untaten der nationalen und der privaten Vergangenheit zum Alibi der Verantwortungslosigkeit und Tatenlosigkeit für die Gegenwart – ob vorsätzlich oder fahrlässig ist in der Konsequenz einerlei. Saugut? Oder schweinisch feige? Rafael Seligmann