Hacker, bildet Bands!

Auch der Computerbastler braucht mal einen Freund: Kreidler aus Düsseldorf führen vor, wie (Band-)Chemie bloße Elektronik beeinflußt  ■ Von Martin Pesch

Am Ende des Konzerts von Kreidler in Berlin wendet sich Detlev Weinrich, der in der Band für Sampler und andere elektronische Klangerzeugung (Plattenspieler, Theremin) zuständig ist, ohne Mikro ans Publikum: Man möge entschuldigen, daß diesmal einiges nicht so geklappt hat. Technische Probleme aufgrund eines zu kurzen Soundchecks seien es gewesen, die ihren Live-Auftritt beeinträchtigten. Eine bescheidene, eine bezeichnende Geste.

Allmählich wird wieder aktuell, was in nicht rockorientierten Produktionsformen seit einigen Jahren in den Hintergrund gerückt war: das Prinzip Band. Die Aufmerksamkeit gegenüber elektronischer Musik hat in den letzten Jahren eine nicht für möglich gehaltene Intensität und Breite erreicht. Das hat zur Folge, daß sich viele Musiker, die aus dem Rockbereich kommen, mit Techniken und musikalischen Strukturen von Techno, Dub, Drum'n'Bass etc. auseinandersetzen. Im Gegenzug wird das Live-Spielen, das Zusammenspielen gerade bei deutschen Techno- Produzenten immer beliebter.

Inzwischen gibt es etliche Berührungspunkte zwischen einst strikt getrennten Gattungen. Hans Nieswandt von Whirlpool Productions, dem Kölner House-Trio, betonte in einem Interview das Moment der Zusammenarbeit, des Bandkontexts: „Das ist der Sinn an so einer im Grunde ja sinnlosen Dreierbeziehung. Eine Dreierbeziehung von Leuten, in der alle alles können. Also man macht das, weil man nur dadurch, daß man sich diesem komplizierten psychologischen Prozeß aussetzt, dann solche Ergebnisse erreichen kann.“ (Superstar, Nr. 3)

Mit einem Bein in der Kunstgalerie

Andreas Reihse, der Keyboarder von Kreidler, fast unisono: „Heute kann man am Computer alles alleine machen. Der einzige Sinn, in einer Band zu spielen, ist ja, daß man sich aneinander orientiert. Und daß dadurch etwas anderes entsteht; daß etwas anders klingt, als wenn man es allein gemacht hätte.“

Kreidler kommen aus Düsseldorf, einer Stadt, die für deutsche Musik eine ziemlich große Bedeutung hat. Neu, Kraftwerk, La Düsseldorf, Der Plan, Pyrolator – Musik, die mit einem Bein immer in der Kunstgalerie, mit dem anderen in der Hitparade stand. Stefan Schneider, der Bassist, erzählt: „In Düsseldorf waren die Initiativen, die von der Kunstakademie ausgingen, immer sehr wichtig; und wenn es nur die Parties sind, die von den Leuten dort veranstaltet wurden.“ Kreidler waren vorher Deux Baleines Blanches. Ein Trio, das versuchte, mit unterschiedlichen Leuten aus der Spoken- Word-Szene zusammenzuarbeiten. Das entwickelte sich aber nicht zur Zufriedenheit. Schneider: „Vor zwei Jahren war ich zweimal in Chicago und habe mich dort speziell für Spoken Word interessiert und festgestellt, daß dort eine ganze andere Tradition herrscht und daß alles auf einem höheren Niveau abläuft. Es wäre sicherlich interessant, als Instrumentalband dort hinzugehen und den Kontakt zu dieser Szene zu suchen. Hat sich aber bisher noch nicht ergeben.“

Bei einem Konzert lernte das Trio (Reihse, Schneider und der Schlagzeuger Thomas Klein) Weinrich kennen, der auch als DJ arbeitet. Man entdeckte ähnliche musikalische Interessen und arbeitete fortan zusammen. Seit 1994 gibt es Kreidler als instrumentale Band.

Geräuscheloops geben den Takt an

Viele der 14 Stücke auf ihrer Debüt-CD „Weekend“ beginnen mit einem Loop oder einem gesampelten Geräusch, denen sich nach und nach die anderen Instrumente anfügen. Da liegt die Vermutung nahe, daß Kreidler bewußt mit dem Gegensatz zwischen dem elektronischen Gerät und dem handgespielten Instrument arbeiten. Dazu Schneider: „Meistens ist es so, daß ein Loop das Timing vorgibt. Manchmal sind die Loops aber auch freetime. Da muß man

dann selbst was finden, manchmal ist es so, daß durch den Schnitt des Loops rhythmische Teile fehlen, die das Schlagzeug dann übernimmt. Daß das auf der Platte so deutlich ist, hat auch was mit der Dokumentation unserer Arbeitsweise zu tun, die wir so in den letzten zehn Monaten verfolgt haben.“ Und Reihse ergänzt: „Der Gegensatz Sampler/Instrument hört sich so an wie ein intellektuelles Konstrukt. Das war nicht sprachlich formuliert, sondern entwickelt aus der Art und Weise unseres Zusammenspiels und erklärte sich dann selbst, während wir es gehört haben.“

Angenehm in jedem Fall ist die Zurückhaltung, mit der hier viele Musiker – egal, welches Instrument sie gerade bedienen – miteinander umgehen. Allerdings ohne auf die Virtuosität des Zusammenspiels oder spektakuläre Improvisationssessions zu zielen. „Irgendwann merkten wir, daß uns die Lücken, die in unseren Tracks auftauchen, sehr interessieren. Die lassen wir so“, beschreibt Schneider die Kreidlersche Arbeitsweise.

Auf Platte klingt das alles sehr hell– wie die blühenden Magnolie auf der Covervorderseite), einfach und klar – wie das logohafte Grafikdesign auf der Coverrückseite). Auf der Bühne fällt ab und zu die Spannung etwas ab. Aber das ist ja auch wieder die doofe Erwartungshaltung, die man so hat: Live muß es abgehen. In der Band wird dieses Problem diskutiert. „Wir überlegen sehr genau“, erzählt Weinrich, „wie wir unsere Live-Präsenz verbessern oder ändern können. In Hamburg habe ich mir während des Auftritts die Jacke ausgezogen, und die Leute haben das sofort als Geste für sie aufgefaßt. Da entsteht die Frage: Wie kommt man den Leuten entgegen, ohne deren Ertwartungshaltung clever auszunutzen?“ Es mußte 1996 werden, bis sich eine Band solch eine Frage stellt.

Kreidler: „Weekend“ (Rough Trade)