■ Pakistans Staatschef setzt Regierung wegen Korruption ab
: Der Tod des Mythos Bhutto

Benazir Bhutto, die erste Ministerpräsidentin in einem muslimischen Staat, hat ihr Ansehen selbst demontiert. Gelangte sie 1988 als Volkstribunin an der Spitze einer Massenbewegung gegen die Diktatur des Generals Zia ul-Haq an die Regierung, so geht heute in Pakistan niemand mehr für sie auf die Straße. Zwar riecht die laut Verfassung mögliche Absetzung der „Unvergleichlichen“ – so die Übersetzung ihres Vornamens – durch Präsident Faruq Leghari nach einem Putsch von oben. Aber was würde ihn mehr legitimieren als das massive Schweigen des Volkes? Pakistans Bevölkerung hatte große Hoffnung auf die Politikerin gesetzt. Sie waren durch ebenso große Versprechungen geweckt worden. Einen Feldzug gegen die Armut hatte Bhutto verkündet. Wahr gemacht hat sie davon nur Bruchteile. Die Inflation steigt ungehemmt, der Pakistaner auf der Straße zahlt's. Die halbfeudalen Landlords, Benazirs materielle Machtbasis, hingegen müssen kaum Steuern zahlen.

Was vielleicht noch schwerer wiegt: Durch ihre betonte Klientelpolitik im Interesse ihrer eigenen Familie und der ihres Ehemannes Asif Ali Zardari zerstörte sie den Ruf, den ihr Vater Zulfikar Bhutto einst begründete. Der Familienmythos starb und mit ihm die Hoffnung auf bessere Zeiten. Schon in ihrer ersten Amtsperiode hievte sie ihre Mutter in ein hohes, in Pakistans Verfassung nicht vorgesehenes Regierungsamt. Sie machte ihren in verschiedene Bankskandale verstrickten Schwiegervater Hakim Zardari ausgerechnet zum Chef des staatlichen Anti-Korruptions- Komitees. Daß sie jetzt ihren Mann, der schon bisher alle Chefs der Staatsbanken und -unternehmen persönlich auswählte und wegen krummer Rüstungsdeals ins Zwielicht geraten war, zum Minister für Investitionen ernannte, brachte das Faß für Präsident Leghari zum Überlaufen.

Während man Pakistans Nachbarn und Erbfeind Indien wenigstens strukturell als Demokratie bezeichnen kann – dort steht der Ex-Premier wegen Korruption vor Gericht –, ist Pakistan davon weit entfernt. Mit der Moslemliga, die nach den Neuwahlen wieder an die Macht kommen wird, gerät das Land nur vom Regen in die Traufe. Sie hat schon früher bewiesen, daß sich das pakistanische Korruptionskarussell bei ihr mindestens genauso schnell dreht. Thomas Ruttig