Die Arbeit wird weiblicher

Die Soziologin und Entwicklungsexpertin Christa Wichterich über die negativen und positiven Folgen der Globalisierung für Frauen. Mit ihr sprach  ■ Karin Gabbert

taz: Die UNO spricht in ihrem Bericht zur Weltfrauenkonferenz davon, daß sich die Situation von Frauen weltweit verschlechtert hat. Hat die Globalisierung den Frauen wirklich nur Rückschritte gebracht?

Christa Wichterich: Die Armut ist gewachsen und erst recht die weibliche Armut. Eine Ursache dafür sind die Auswirkungen der Globalisierung auf die Landwirtschaft. Da zeigt sich ihr destruktives Potential sehr deutlich. Die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln wird durch den Anbau für den Weltmarkt verdrängt, Ernährungssicherheit zerstört. Das trifft viele Kleinbäuerinnen existentiell. Auf der anderen Seite sind mehr Frauen erwerbstätig. Die UN spricht von einer Feminisierung der Beschäftigung, weil der Anteil der Frauen an der Zahl der Beschäftigten wächst. Das liegt an ihrem Einbezug in die Exportindustrie und neuerdings in den Dienstleistungssektor für den Weltmarkt. Es sind zu 80 Prozent Frauen, die in der Karibik, Indien, China und Südostasien Daten verarbeiten, oft die Buchungen, die wir am selben Tag bei unseren Banken, Fluggesellschaften und Versicherungen machen.

Die Globalisierung hat also sowohl Vor- als auch Nachteile für Frauen?

Nun, es gibt Gewinnerinnen und es gibt Verliererinnen. Die Tatsache, daß 70 Prozent der Armen weltweit Frauen sind, zeigt, daß sie überproportional auf der Verliererseite stehen. Andererseits hat die Exportproduktion vielen jungen Frauen mit niedrigem Bildungsniveau ein – wenn auch mickriges – Einkommen beschert und auch neue Lebensräume eröffnet.

Zum Beispiel wie und wo?

Bangladesch ist vor gut zehn Jahren mit Hilfe der Textilindustrie in die Globalisierung eingestiegen. Die Frauen durften früher das Gehöft auf dem Land nicht verlassen. Jetzt sind sie aus schierer Not gezwungen, außerhalb des Haushalts erwerbstätig zu werden, etwa in der Bekleidungsindustrie. Da arbeiten sie unter miesesten Bedingungen und für schlechte Löhne. Aber das Einkommen, das sie nach Hause bringen, gibt ihnen ein neues Selbstwertgefühl. Das wollen sie nicht mehr missen. Eine Fabrikarbeiterin hat zu mir gesagt: „Ich habe die Welt gesehen.“ Für sie ist das ein Coming-out, raus aus der patriarchalen Enge des Hauses. Am Anfang bewarfen Männer sie morgens auf dem Weg zur Arbeit mit Steinen. Im Laufe der Zeit haben diese Kontrollversuche abgenommen.

Die Frauen finden es also toll, unter unwürdigen Bedingungen in Weltmarktfabriken zu arbeiten?

Nein. Das zu sagen, wäre zynisch. Die Frauen werden beschäftigt, weil sie billig, willig und flexibel sind. Sie sind als Durchlauferhitzer für das Wirtschaftswachstum in Südostasien und Lateinamerika benutzt worden. Ex und hopp. Die gewerkschaftlichen Verhandlungsspielräume sind sehr gering. Denn würden die Frauen besser bezahlt, würde Bangladesch seinen Standortvorteil verlieren. Trotzdem konnten die Arbeiterinnen sich neue Lebenschancen und neue soziale Beziehungen erschließen.

Zum Beispiel jammern die Unternehmer in Bangladesch, daß die Frauen sich kleine subversive Handlungsspielräume eröffnen: Sie wechseln häufig die Betriebe, um auszutesten, wo die Arbeitsbedingungen besser sind. Die Frauen sind und bleiben Objekte und Opfer kapitalistischer Verwertung, aber sie handeln auch als Subjekte. Es gibt viele gegenläufige und ambivalente Prozesse durch die rasanten Veränderungen.

In welchen Bereichen?

Auch im kulturellen Bereich. Nehmen wir Jeans als Beispiel. Die sind nicht nur ein Stück Stoff, sondern auch ein Muster für Lebensstil. Eine Levi's an einer Frau sexualisiert den Körper, aber signalisiert auch Beweglichkeit und Unabhängigkeit. Beides gab es in vielen Kulturen vorher in dieser Form nicht. Als Reaktion gegen diese neuen Modelle entsteht in vielen Regionen ein Kulturrelativismus, den wir oft als Fundamentalismus bezeichnen: Männer benutzen Frauen als Faustpfand gegen die kulturelle Desintegration der Gesellschaften.

Bekommen Frauen durch die Globalisierung denn nicht auch stärker die weibliche Rolle der Versorgerin, Hüterin und Heilerin zugeteilt?

Ganz bestimmt im Vergleich mit den achtziger Jahren. Liberalisierung und Deregulierung bedeuten, daß die Staaten die Zuständigkeit für soziale Aufgaben und Ausgleich von sich weisen. Wirtschaft und Soziales werden entkoppelt. Die Unternehmen lehnen es ab, Verantwortung für das Soziale zu übernehmen, weil sie dadurch Wettbewerbsvorteile verlieren würden. Deshalb werden soziale Aufgaben in die privaten Haushalte zurückverlagert, an zivilgesellschaftliche Kräfte, sprich: ehrenamtliche Organisationen und Selbsthilfegruppen delegiert oder dem freien Markt, das heißt privaten Anbietern überlassen. Die Rückdelegation des Sozialen an die Zivilgesellschaft bedeutet immer eine Belastung der Frauen, weil sie zuständig sind für die Versorgungswirtschaft. Wir dürfen nicht vergessen, daß zwei Drittel aller von Frauen geleisteten Arbeit unbezahlte Versorgungsarbeit ist.

Meinen Sie diesen Prozeß, wenn Sie vom „Fortschritt der Ungleichheit“ sprechen?

Ja, die Ungleichheit wird modernisiert, indem Frauen zum Beispiel erwerbstätig sind und etwas Geld für sie abfällt. Aber es bleibt bei der alten Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern.

Wie sieht das konkret aus?

In Kenia läßt eine italienische Nahrungsmittelfirma Kleinbäuerinnen Gemüse für den europäischen Markt produzieren. Die bauen jetzt Böhnchen für uns auf den wenigen guten Böden der Region an, statt der Produkte für ihren eigenen Bedarf. Dafür bekommen sie zwar ein Einkommen. Aber die Kontrolle darüber hat der Mann. Genauso bleibt der Boden fest in Männerhand. An der Ungleichheit ändert sich also im Prinzip nichts.

Hat die Globalisierung die Ungleichheit unter Frauen verstärkt?

Ja, ganz sicher. Es gibt mehr Frauen, die mit dem bloßen Überleben zu kämpfen haben, und mehr Frauen in hohen Positionen. Die Globalisierung hat eine Ausdifferenzierung der Gesellschaften bewirkt und damit unter Frauen.

Ist es dadurch für Frauen schwerer geworden, gemeinsam Politik zu machen?

Solidarisierung war schon immer schwierig, im Süden vor allem zwischen Stadt und Land, verschiedenen Klassen, Ethnien und Religionen. Manchmal konnten die Unterschiede durch einzelne Themen und Aktionen überwunden werden. In Indien hat das Thema „Gewalt gegen Frauen“ eine Brücke zwischen Frauen aus unterschiedlichen Kasten und Klassen geschlagen. Aber derzeit organisieren sich dort Frauen mit unterschiedlichen Interessen und Herkünften wie Dalit-Frauen – sogenannte Kastenlose – und Moslems separat. Die Gefahr, daß Bewegungen zersplittern, ist groß.

Nach der Weltfrauenkonferenz hieß es, der Höhepunkt der internationalen Frauenbewegung sei überschritten. Wie sehen Sie das?

Dahinter steht die grundsätzliche Frage nach der politischen Macht zivilgesellschaftlicher Kräfte. Die Frauenbewegung hat einen wichtigen Platz unter diesen Kräften gewonnen, im globalen Zusammenhang. Sie hat sich stark auf die sechs großen UN-Konferenzen seit 1992 konzentriert und ihre Forderungen in die Verhandlungen eingebracht. Aber ich denke, sie täuscht sich auch über ihre wirkliche Macht. Man muß auch mitbedenken, daß die regierungsunabhängigen Organisationen gut ins Deregulierungskonzept der Staaten passen, denn sie übernehmen preisgünstig soziale Aufgaben an der Basis.

Haben sich die Strategien der internationalen Frauenbewegung geändert?

In den siebziger Jahren war die internationale Frauenbewegung Teil der Dritte-Welt-Solidaritätsbewegung. Sie koppelte sich oft an Befreiungsbewegungen, und Frauen hofften, dort würden auch Modelle für ein neues Geschlechterverhältnis entstehen. Das hat sich von Nicaragua bis Eritrea als Trugschluß herausgestellt. In den neunziger Jahren wurde dann, stark gesteuert von US-Amerikanerinnen, das Lobbying auf den UN-Konferenzen zum Dreh- und Angelpunkt der globalen Aktivitäten. Es ist ein Folge des Frusts über den Kollaps realsozialistischer Modelle und der Suche nach anderen Instrumenten, um Gesellschaft zu verändern. Es fehlte an visionärer Kraft und Phantasie, um an neuen Utopien zu basteln. Deshalb der Rückschritt zum Lobbying als realpolitischem Weg.

Wie hat die Globalisierung diese Strategien beeinflußt?

Einerseits werden Frauen als Arbeitskräfte in ein globales Wettbewerbsroulette geschleudert, in dem sie konkurrieren. Andererseits besteht eine Chance, daß die Internationalisierung auch eine Internationale der Solidarität schafft, denn Probleme wie die Verarmung gleichen sich einander an. Und die Globalisierung der Kommunikation bietet neue Möglichkeiten, sich zu vernetzen.

Die ganzen neuen Möglichkeiten führen doch eher zur technologischen Verzettelung als zu mehr politischer Nähe.

Die UN-Konferenzen sind ein Beispiel dafür, daß Austausch und Absprachen fürs internationale Parkett klappen. Es ist ein Internet-Feminismus entstanden. Was meines Erachtens aber noch nicht geleistet ist, ist eine Umsetzung und Nutzung der E-Mail-Solidarität für nationale und lokale Frauenpolitik.

Die internationale Frauenbewegung hat offenbar an Faszination verloren. Der Blick über die Grenzen ist müder geworden. Liegt das daran, daß auch im Norden die Verteilungskämpfe härter geworden sind?

Den Faszinationsverlust sehe ich nicht so. Aber klar ist, daß sich das politische Interesse zunehmend auf den eigenen Standortvorteil richtet. Beispiel Bundesrepublik: Der Blick auf den eigenen Teller wird immer stierer und konkurrenzlerischer.

Ist das im Süden genauso?

Prinzipiell ja. In Indien sagen die Hindu-Chauvinisten: „Wir wollen alle Moslems raus haben“, weil sie genausowenig teilen wollen, wie Deutsche mit MigrantInnen teilen wollen.

Wäre denn Regionalisierung eine Gegenstrategie zur Globalisierung? In der EU verlieren die Nationalstaaten an Einfluß, während sowohl Europa als auch die Regionen wichtiger werden.

Es stimmt: Afrikanerinnen nennen Regionalisierung als Alternative zu Globalisierung. Sie hoffen, regionale Strukturen besser kontrollieren zu können. Doch automatisch bringt auch Regionalisierung kein Ende marktwirtschaftlicher Profitmacherei und Ausbeutung, und auch kein Ende der Ungleichheit der Geschlechter.

Was würden Sie als UN-Generalsekretärin als erstes tun, um die Situation von Frauen zu verbessern?

Ich halte UN-Generalsekretäre für recht machtlose Gestalten. Aber ich würde mir gewiß den Kopf zerbrechen, wie Männer in die unbezahlte Versorgungsarbeit einzubeziehen sind. Das ist meiner Meinung nach die Grundlage, um die Hierarchie der Geschlechter und ihrer Arbeitsteilung zu knacken. Vollbeschäftigung wird es niemals geben, weder für Männer noch für Frauen. Deshalb brauchen wir eine Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, von marktbezogener und Versorgungsarbeit. Da einen Hebel anzusetzen, ist mein Traum.