Auf der Suche nach Magma

Ein Ausflug zum Vulkan Pacaya bei Antigua Guatemala: Zwar kommt es nicht zu den erhofften Ausbrüchen, und Schauder über den Rückern jagen allenfalls der schmale Grat oder die imposante Gegend  ■ Von Werner Mackenbach

„Sitzesch du biquähm?“ – Die Frage des älteren Herrn aus der Schweiz – im reinsten Schwyzerdütsch formuliert – hat einen Lachanfall seiner Ehepartnerin zur Folge. Die zwanzig aus den USA, Brasilien, Israel, Österreich und Deutschland stammenden Touristen drehen sich erstaunt um und widmen sich dann mit einem Lächeln auf den Lippen wieder ganz der Landschaft, die hinter der Staubfahne des vor uns fahrenden Lastwagens verschwindet. Kurz zuvor war die ältere Dame von einer Bank im Mittelteil des Busses, dessen bessere Tage schon weit zurückliegen, auf die noch engere Rückbank gewechselt, nachdem die gebrochene Lehne des Vordersitzes ihr fast die Beine eingequetscht hätte. Immerhin ist sie hier nicht unmittelbar verletzungsgefährdet, auch wenn in dieser Position der Körper noch kräftiger durchgerüttelt wird als auf den übrigen Plätzen. Zum selbstironischen Lachen über die ehrlich gemeinte Frage des Partners reicht es aber immer noch.

Die knapp zweistündige Fahrt von Antigua Guatemala zum Fuß des Vulkans Pacaya hat es tatsächlich in sich. Der Fahrer hat die kürzere Strecke über die Dörfer (und nicht über Guatemala-Stadt) gewählt, die durchweg aus Schotterpisten und Waldwegen besteht. Von Schlaglöchern zu sprechen wäre bei den Vertiefungen, Einbrüchen und Verwerfungen pure Schönfärberei. Selbst die in der Mehrheit durchweg jüngeren Touristen, die sich für zehn Dollar pro Person das Abenteuer nicht entgehen lassen wollen, einen noch aktiven Vulkan des guatemaltekischen Hochlandes zu besteigen, wirken, am Fuß des Berges angekommen, bereits etwas mitgenommen. Und das Härteste steht ihnen noch bevor.

Immerhin, die Stimmung ist noch durchaus heiter. Während der ersten Stunde des zweistündigen Anstiegs geht es eher gemächlich durch Wald und grüne Freiflächen. Die Gruppe bleibt eng beisammen und läßt sich von Leonel, dem Bergführer, Strecke und Landschaft erklären. Doch dann beginnt der eigentliche Aufstieg zum Gipfel – eine knappe Stunde durch Vulkansand den kahlen Berghang hoch. Das Schweizer Ehepaar ist schon lange zurückgeblieben, und die Gruppe fällt immer weiter auseinander. Der wegrutschende Sand (zwei Schritte vor, einen Schritt zurück, immer auf der Suche nach einem Halt unter den Füßen, einem größeren Stein, einem herausragenden Fels) verlangt den Amateurbergsteigern alle Kondition ab. Immer wieder sind der Reihe nach alle Mitglieder der Gruppe entschlossen, umzukehren und auf den ersehnten Blick in den Krater zu verzichten. Doch irgendwie geht es weiter – unter Aufbietung der letzten Reserven und angespornt von den aufmunternden Zurufen unseres Führers, der am Gipfel alle Ankommenden mit Handschlag und breitem Lächeln begrüßt.

Viele sind in leichter Sommerkleidung gekommen, und nachdem sie in Schweiß gebadet das letzte Stück geschafft haben, spüren alle die empfindliche Kälte. Vom Reiseveranstalter in Antigua hatte es keinerlei Hinweise auf die zu erwartenden körperlichen Anstrengungen und auf notwendige wärmere Kleidung gegeben. Auch der Lohn der ganzen Anstrengung läßt auf sich warten. Der versprochene atemberaubende Blick in den Krater ist eher enttäuschend: keine Magma, keine durch die Luft fliegenden Steine – das leichte Schauern rührt von der Kälte, höchstens von den Schwindelgefühlen angesichts des schmalen Grats, auf dem wir den Krater umrunden. Noch vor vier Monaten, so Virgilio, unser zweiter Führer, sei es zu stärkeren Eruptionen gekommen. Jetzt jedoch ist der Vulkan ruhig.

Immerhin wehen kräftige Schwefelwolken über den Kraterrand, die einem Sicht und Atem nehmen. Dazwischen sind an den Kraterwänden die gelblichgrünen Schwefelablagerungen zu erkennen, deren Farbtöne im Licht der untergehenden Sonne spielen. Zwar kommt es auch in der hereinbrechenden Dunkelheit nicht zu den erhofften Magmaausbrüchen, die an den Verkaufsständen in Antigua auf den Postkarten vor dem dunklen Nachthimmel so spektakulär wirkten. Dafür ist der Blick von dem 2.550 Meter hohen Gipfel in die Umgebung um so imposanter: im Nordwesten der alles überragende Vulkan Agua, hinter dem sich Antigua versteckt, im Norden Guatemala-Stadt, dessen Lichtermeer in der Dämmerung immer näher zu rücken scheint – zwei Eckpunkte des touristischen „Bermudadreiecks“ im guatemaltekischen Hochland, die zusammen mit dem dritten Eckpunkt, dem Lago de Atitlán, ein Muß bei jeder erstmaligen Reise in das zentralamerikanische Land sind.

Beim Abstieg vom Vulkan Pacaya berichtet Leonel, Angst habe er gehabt, als er seine erste Touristengruppe auf den Gipfel führte, kein Wort habe er verstanden, nichts habe er erklären können. Er warnt stolz vor „steps“ und „rocks“ auf dem in der Dunkelheit verschwindenden Weg. Hinter uns leuchten die Taschenlampen der anderen Gruppen, vor uns flimmern die Lichter der Hauptstadt, während wir Snowboardfahrern alle Konkurrenz machen und den Steilhang wedelnd in fünf Minuten hinabfahren, für den wir beim Aufstieg fast eine Stunde brauchten. Das einzige, was uns fehlt, ist die besorgte Frage des Schweizer Herrn:

„Rutschesch du biquähm?“