„Das Seil einfach durchgeschnitten“

Baumhäuser in einem Park in Freiburg werden von Sondertruppen der Polizei zerstört, damit eine Straße durch den Schwarzwald gebaut werden kann. Räumungen auch im Wald in Thüringen  ■ Aus Freiburg Achim Berge

Sie waren mehrfach und multimedial gewarnt worden: Über Internet wurde die Nachricht einer Polizistenmutter weitergegeben, daß ihr Sohn für Dienstagmorgen zum Großeinsatz nach Freiburg bestellt war, am Vorabend meldete sich am Handy ein Rettungssanitäter, der sich bereithalten sollte, Unbekannte riefen nachts aufs Gelände: „Morgen früh wird geräumt!“

Um kurz nach vier Uhr am Dienstag ist es soweit im Konrad- Guenther-Park in Freiburg. 30 BaumhausbewohnerInnen und ihre zirka 200 MitstreiterInnen auf dem Erdboden wollten mit ihrer tagelangen Besetzung das Bäumefällen für den autobahnähnlichen Ausbau der B 31 verhindern. Scheinwerfer sind auf sie gerichtet, der Park wird abgeriegelt.

Doch erst um halb neun beginnt die Räumung. Ein Teil der BodenbesetzerInnen läßt sich friedlich hinaustragen, während die unten an die Bäume Geketteten Gewalt zu spüren bekommen: Unter den Augen vieler Fernsehkameras, Beobachtern der französischen Polizei und angereisten BaumaktivistInnen aus Thüringen werden sie losgeflext und aus dem Park geschleift. Trotz der mit der Polizei vereinbarten gewaltlosen Lösung klagt eine Aktivistin über verdrehte Arme und umgeknickte Finger.

Gegen 10.30 Uhr ist der Boden frei für den schwierigsten Teil der Räumung: Über den ungefähr 1.000 PolizistInnen, die von Bundesgrenzschutz-Einheiten aus Bayern unterstützt werden, hängen 30 AktivistInnen quer über alle Bäume verstreut an ihren Seilen. Beamte von Sondereinsatzkommandos (SEK) versuchen, zu ihnen hinaufzuklettern. Eine Hebebühne wird aufgefahren. Während jeweils vier SEKler sich einen Kletterer vornehmen, brüllt die Menge: „Durchhalten! Durchhalten!“

Gegen Mittag kippt die Stimmung um in Angst. Erste Kletterer sind auf den Boden geholt worden, manche von diesen Aktionen sehen lebensgefährlich aus. „Sicherheit für alle Beteiligten ist oberste Priorität“, meldet Polizeisprecher Brech den JournalistInnen. Die schauen derweil zum Himmel und sehen, wie ein Aktivist einen Baum entert, der wegen Behinderung der Arbeiten gefällt werden soll. Trotzdem beginnt ein Polizist an seinem Baum zu sägen und wird erst spät zurückgepfiffen. Ein 21jähriger Kletterer berichtet: „Ich war wegen der dürren Äste und dem Wind zweifach gesichert. Da haben sie einfach eins der Seile durchgeschnitten und mich später in die Hebebühne gezerrt.“

Von den Ereignissen unbeeindruckt, beginnt die Polizei an anderen Stellen des Parks alte Baumriesen zu fällen. Wut und Verzweiflung machen sich breit. Fassungslos beginnen immer mehr Menschen, einfach zu weinen und liegen sich in den Armen. Einen Sinn für das Fällen der bis zu 300 Jahre alten Eichen und ihrer Genossen gibt es: Ein Volumen von 227 Millionen Mark will verbaut werden, für deren Auftragsvergabe das Bonner Verkehrsministerium just an diesem Morgen grünes Licht gegeben hat. Nachdem die letzten Kletterer erst am Nachmittag aus den höchsten Wipfeln geholt werden konnten, findet heute um 14 Uhr auf dem Freiburger Rathausplatz eine Protestveranstaltung statt.

Verschanzen in Baumhäusern hat in England bei den umweltvernichtenden Projekten der dortigen Tory-Regierung Furore gemacht. In einem Wald beim thüringischen Arnstadt wurden schon dreimal Leute aus den Bäumen geräumt, zuletzt am Freitag. Im dortigen Bettelmannsholz soll die Bündeltrasse von zwei Autobahnen und einer ICE-Strecke freigeschlagen werden. Die Straßenplaner haben es eilig, Tatsachen zu schaffen: Weil die ICE-Strecke nach Erfurt vielleicht gar nicht gebaut wird, wäre ein neues Planfeststellungsverfahren nötig. Die schnurgerade Linienführung der Autobahnen A 71 und A 73 in dem Bereich wurde mit den Bedürfnissen des ICE begründet, die Bahn war der offizielle Planungsträger.