Korrekte Schneebrille

■ Jenseits profaner Levi's widmet sich ein Arte-Themenabend dem Zusammenspiel von Kleidung und Lebensgefühl. "S, M, L, XXL - Streetfashion", Arte, 21.45 Uhr

Wenn die Jeansmarke zu einer Frage der Ehre wird, die braune Pudelmütze plötzlich Hänseleien provoziert – spätestens dann wird dem Heranwachsenden bewußt, daß Mode mehr als bloß Körperbekleidung ist, daß in ihr massig Symbolgehalt und Verzweiflung stecken. In seiner Reihe über Jugendkulturen der Neunziger widmet sich Arte heute abend dem Thema „Streetfashion“. Mode, die auf der Straße und in den Clubs gemacht, erdacht und mit Bedeutung aufgeladen wird.

So erzählt der Berliner Regisseur Rolf S. Wolkenstein in seinem Film „Out In The Streets“ die Geschichte von HipHop einmal anders: Anhand von Fashion, Styles und Attitüden schlägt er den Bogen von Street-Gangs der Sixties und Seventies bis zu Ol' Dirty Bastard. Da geht es um ärmellose Jeansjacken, um Schneebrillen, die auch politisch konnotiert waren (kein Koks!), um die plötzliche Smartness von Adidas, und um den Streit, wer den fettesten und größten Goldschmuck um den Hals hängen hat.

Das hat zwar meist historischen und dokumentarischen Charakter, strahlt aber bis in die späten Neunziger, in denen, weiß Gott, jeder Schrott recycelt und gesampelt wird. So wird in einem anderen Beitrag auch Punk noch einmal aufgearbeitet, der – von der Elendsgestalt auf St. Pauli bis zu Vivanne Westwood – zu allen Zeiten auf allen Ebenen o.k. regiert. Oder man stellt das englische Magazin i.D. vor, das in den Achtzigern auf den Markt kam und sich seitdem mit Moden, Clubs und Musik beschäftigt. Ganz nah dran soll i.D. an dem sein, was auf der Straße passiert. Doch etwas zu schwärmerisch darf hier die Chefredakteurin ihre Unabhängigkeit von Industrie und Geschäft verbalisieren, etwas zu strahlend erscheint die streetness dieses Magazins, das, obwohl seine Verdienste unbestritten sein mögen, letzten Endes auch mit den üblichen Coverstories über Oasis, Nadja Auermann oder P.J. Harvey seine Auflage zu halten oder zu mehren versucht.

Aufgelockert wird der Themenabend durch fünfminütige Saturday-Night-Fever-Interludes, die Jugendliche in Belfast, London oder Moskau beim Ausgehen zeigen. Sehen soll man diese Kurzfilme wohl als Hinweis auf einen nicht zu unterschätzenden Antrieb der meisten Jugendbewegungen, der in den Beiträgen vor lauter Reflektion nur am Rande vorkommt: Spaß, Freude und Ausgelassenheit. Und auch wenn die Borniertheit einer Berliner Kulturmanagerin immens aufschlußreich ist – ganz besoffen berichtet die, ohne mit der Wimper zu zucken, von den Dimensionen, in die Techno mittlerweile aufgerückt ist; mehr Ironie und Selbstdistanz hätte man hie und da mal zulassen können.

Ingesamt jedoch ist „S, M, L, XXL – Streetfashion“ eine runde Sache, die wissend und interessiert Moden und Lebensmodelle am Rande von Benetton, Always ultra und Lord extra verhandelt. Manchmal zupft man sich beim Schauen arg unruhig an der Allerwelts-Levi's, so verwirrt ist man ob dieses fashionablen Facettenreichtums. Fab Five Freddy, Moderator von Yo! MTV Raps, beruhigt allerdings gleich zu Beginn: „Was immer man trägt, man muß es vor allem auch repräsentieren.“ Gerrit Bartels