In den Gipfeln keine Ruh'

Nach zehnjährigem Widerstand soll der Bau einer vierspurigen Bundesstraße mitten durch Freiburg beginnen. Die GegnerInnen sind auf die Bäume gestiegen  ■ Von Heide Platen

Der Tragesack aus grünem Leinen baumelt dicht über dem Boden. Da hinein paßt ein mittleres Nilpferd. Alamudin klinkt die Sicherheitshaken ein. Aufwärts in die Baumgipfel geht es an dünnen Seilen. Die sehen nicht gerade vertrauenerweckend aus, rotes Gewusel mit grauem verknüpft, hier ein Endchen, da ein Knoten. Dünne Äste streifen im Vorbeigleiten die Nase, werden beim Weg abwärts das Hinterteil kitzeln. Und in den Gipfeln keine Ruhe.

Oben, in den Eichenkronen im Freiburger Konrad-Guenther- Park, wird nachbarschaftlich gegrüßt. Da kleben in 15 Metern Höhe schon die BiologiestudentInnen Marion und Michael angeseilt am Stamm unterhalb des winzigen Baumhauses, Holzplattform und Spitzdach wie ein Futterhäuschen. Darunter hat sich ein Specht seine Wohnung gehämmert. Ein Artistennetz verbindet die Häuser als luftige Straße. Das spirituelle Gefühl, die Lebensphilosophie des Berufsstands der Baumkletterer, das Alamudin versprochen hatte, will sich so recht nicht einstellen. Die Aussicht auf den nebelverhangenen Fichtenwald auf dem Bleichendobelkopf dagegen ist gut. Unten rattert die Höllentalbahn durch das Tal der Dreisam.

Alamudin vertraut auf das Seilsystem. Völlig neu sei es, absolut sicher und gänzlich miteinander vernetzt: „Wenn man ein Seil kappt, ist das ganze Netz unsicher.“ So leicht, lobt der professionelle Baumpfleger den Vorteil der Konstruktion, „werden wir hier oben nicht abzuräumen sein“.

Er und seine Berufskollegen arbeiten in Freiburg und anderswo für den „Erhalt des nicht ersetzbaren Kulturguts Baum“. Über 200 Jahre alt seien einige der Bäume hier und damit „Teenager“: „Wir Baumkletterer leben in und mit den Bäumen.“ Erste Erfahrungen hat er in den Douglasien auf dem WAA-Gelände im bayerischen Wackersdorf gesammelt. Die Freiburger Eichen mit ihren verzweigten Kronen, meint er, seien viel schwerer zu räumen.

Daß die Stadt einen Teil des Parks 1954 nach dem Freiburger Reisenden, Zoologieprofessor und Vogelkundler Konrad Guenther benannte, haben die BesetzerInnen auch erst jetzt gelernt. Möslepark heißt das Gelände im Volksmund, das dem Forscher ein „Denkmal von dauerndem Bestand“ setzen sollte. Um die Jahrhundertwende propagierte Guenther Naturverbundenheit und wünschte, „daß das Lied der Natur gehört werde, auf daß das Land lebendig bleibe und kein ödes Nutzland werde“. Die Stadt stellte ihm im Möslewäldchen eine Vogelschutzstelle zur Verfügung, die „nunmehr für alle Zeiten seinen Namen tragen wird“. Ältere FreiburgerInnen erinnern sich immerhin noch an die Nachkriegszeit und das sozialdemokratische Freizeitvergnügen im Naherholungsgebiet.

„Wollen Sie auch auf die Bäume?“ hatte eine Anwohnerin gefragt und den Weg gezeigt. „Eine Schweinerei ist das!“ schimpft sie und deutet weiträumig: „Da, wo wir jetzt sind, da ist dann alles nur noch Tunnel.“ Der Park soll einer Baustraße für das Großprojekt „B 31 neu“ weichen. Seit einer Woche ist er nun besetzt. Der Zuspruch in der Bevölkerung ist groß. AnwohnerInnen bringen Kuchen, Kaffee und Möbel für die Hütten. Die Begeisterung läßt vergessen, daß selbst in der Bürgerinitiative nicht alle mit der Besetzung einverstanden sind. Ein Teil will den nun schon zehnjährigen Kampf bis zum Schluß nur mit legalen Mitteln führen. Für den Sprecher des „Aktionsbündnisses gegen die B 31 neu“, Unternehmensberater Reiner Ehret, sind die Baumbesetzungen dagegen „das letzte Mittel“ gegen die für diesen Monat angekündigte Abholzung.

Die sieben Kilometer lange, vierspurige Bundesstraße wird Freiburg in zwei Teile spalten, die Bevölkerung hat sie schon gespalten. Viele AnwohnerInnen der alten, überlasteten B 31 im Stadtteil Ebnet, dem Freiburger Nadelöhr für den Fernverkehr im engen Dreisamtal, wollen den Neubau. Umweltschützer, Grüne und Betroffene des Neubaus protestieren dagegen seit Beginn der achtziger Jahre. Bei der letzten Landtagswahl in der Ökostadt überrundeten die Grünen die SPD. Der Chef der Lokalredaktion mit Zeitungsmonopol flehte die Straßen-GegnerInnen um des kommunalens Friedens willen in einem Kommentar an: „Aufhören!“

Im Bundesverkehrswegeplan wird die B 31 neu zwischen Freiburg und Kirchzarten als „Ortsumfahrung Freiburg Ost“ bezeichnet. Umgehungsstraße nennt auch Rolf Böhme das Projekt. Der SPD- Oberbürgermeister, Verfechter diverser Großbauprojekte in Freiburg, holt sich die Mehrheiten für seinen Betonrausch inzwischen bei den Konservativen. Teile seiner eigenen Partei dagegen sympathisieren mit den UmweltschützerInnen.

Die bezeichnen Böhmes Einsatz für die Nachtruhe der BürgerInnen von Ebnet als Augenwischerei. In Wirklichkeit sei die B 31 neu das Teilstück einer internationalen Verkehrsplanung, das, 26 Meter breit und vierspurig ausgebaut wie eine Autobahn, den Fernverkehr von Portugal bis Moskau durch das Tal bringen werde. Dazu zitieren sie auch den Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Ernst Teufel, der den umstrittenen, privat vorfinanzierten Ausbau der B 31/B 311 bis Ulm als einen Teil der „schrittweisen Fertigstellung von zwei leistungsfähigen Ost-West- Verbindungen im Süden des Landes“ unbedingt verwirklichen will. Und selbst das Bonner Verkehrsministerium betont die „besondere Bedeutung“ der B 31. Sie sei „für den weiträumigen Ost-West-Verkehr unverzichtbar“.

Der Bundesrechnungshof hat zwölf bundesdeutsche Straßenprojekte mit privater Vorfinanzierung, zu denen auch die Freiburger B 31 neu gehört, als finanziell unverantwortlich gerügt, weil die verzinste Rückzahlung über Jahre viel zu teuer werde. Inzwischen ist auch die örtliche Bauwirtschaft in Freiburg sauer über das Vorfinanzierungsmodell, das eine Gesamthaftung jedes Bieters vorschreibt. Sie konnte im internationalen Wettbewerb der Firmen nicht mithalten und mußte sich aus den Ausschreibungen zurückziehen.

Und als die BI prognostizierte, daß der Widerstand vor Ort weiter wachsen werde, wenn zur Kiesaufbereitungsanlage mit Betonwerk und Großtankstelle auch noch das geplante Containerdorf für 400 Bauarbeiter hinzukomme, nahm der Freiburger Konflikt um die neue Straße skurrile Wendungen: Der Lokalchef der Badischen Zeitung, Rolf Müller, warf der BI in einem Kommentar vor, mit ihrem Hinweis auf das Containerdorf, in dem vermutlich ja ausländische Bauarbeiter unterkämen, schüre sie unterschwellig die Fremdenfeindlichkeit.

Die Baum-BesetzerInnen haben ihr Hüttendorf „BÖHMische Dörfer“ genannt. Die große Zeit der Hüttendörfer und Baumhäuser in Brokdorf, Gorleben und an der Startbahn West kennen sie nur noch aus dem Fernsehen. Warum sie eine Widerstandsform gewählt haben, die in der Vergangenheit meistens mit Niederlagen endete? Das war, sagen sie, in ihrer Kindheit, und die ist für sie lange her: „Wir haben die Niederlagen nicht selbst erlebt.“

Politikstudent Thomas Pettinger weiß, was seine Generation von den engagierten Altvorderen unterscheidet: „Wir wollen das politische System nicht angreifen und uns nicht aus dem Rechtsstaat ausklinken.“ Der aber müsse „zukunftsfähig“ sein. Auf eine Strafe, die auf zivilen Ungehorsam folgen könne, „sind wir vorbereitet“.

Alamudin, schmal und grün gekleidet wie Robin Hood, rückt erst die Seile und Haken um seine Hüften zurecht, dann die dunkelrote Samtkappe: „Die Qualität des Widerstandes hat sich geändert.“ Er sei nicht nur engagiert, er sei auch ein Fachmann, und sein Wissen über Bäume müsse an die Öffentlichkeit weitergegeben werden. Das gehöre zu seinem Berufsethos: „Die ersten Walschützer von Greenpeace waren Seefahrer.“

Dafür sind die BaumbesetzerInnen gut ausgerüstet. In einem der bisher vier Baumhäuser steht ein Computer, die Bodenhaftung wird mit Handy aufrechterhalten, Internet und E-Mail. Ihre Vorbilder sind die BaumbesetzerInnen im englischen Newbury. Die wurden zwar im Sommer geräumt, aber es gehe nicht nur darum, zu gewinnen: „Auch Niederlagen haben Signalwirkung.“

Hüttendorf im www: http://www . Infra.de/B 31

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