Das Ende einer ruhmreichen Epoche

Rothenbaum-Stadion: Am Sonntag das letzte Spiel vor dem Abriß  ■ Von Volker Stahl

Wo früher die Seelers, die Dörfels, Tull Harder, Heinz Spundflasche, Rudi Noack und Jupp Posipal ungezählte Gegner schwindelig gespielt haben, wird bald nichts mehr an eine ruhmreiche Epoche der Hamburger Fußballgeschichte erinnern – das Stadion am Rothenbaum wird abgerissen.

Nach dem Willen von SPD und STATT-Partei werden auf dem ehemaligen HSV-Gelände Wohnungen, Alteneinrichtungen und Gewerbeflächen entstehen. Das Bauvolumen beträgt mindestens 100 Millionen Mark. Nicht standesgemäß ist das fußballerische Ende des Traditionsareals: Am Sonntag kämpfen 22 Drittliga-Kicker, die Amateure des Hamburger SV und der VfL Osnabrück, zum letzten Mal um Punkte.

Der Anfang vom Ende des Rothenbaums geht auf das Jahr 1963 zurück. In dem Jahr endete der 1910 vom HSV-Vorgängerclub Hamburger Fußball-Club von 1888 (HFC) abgeschlossene Nutzungsvertrag, pünktlich zum Start in die erste Bundesligasaison. Der HSV trug seine Punktspiele fortan im Volksparkstadion aus und verlängerte den Pachtvertrag über das 2,5 Hektar große Rothenbaum-Gelände nur jeweils um ein Jahr. Die Vereinsführung ließ die Anlage zwischen Hallerstraße und Turmweg immer mehr verkommen.

1989 bestritten die Profis dort ihr letztes Pflichtspiel. Golz, von Heesen, Furtok und Co. verloren den Pokalfight gegen den damaligen Zweitligisten aus Duisburg mit 2:4 und wurden nach allen Regeln der Kunst ausgespielt – vor 6.100 Augenzeugen. Schon damals zeigte sich, daß das Stadion einem so großen Zuschauerzuspruch nicht standhalten konnte. Die Tribüne knarrte furchterregend und mußte vor zwei Jahren abgerissen werden. Erwin Seeler, der 400 Spiele in der berühmten Sportarena absolviert hat, kommentierte 1950 den Tribünenabriß: „Es stirbt ein Stück Hamburg.“

Geschichte sind auch die fußballerischen Großkampftage, die einst die Massen elektrisiert haben. So wie 1924, als das ausgebaute Stadion gegen den 1. FC Nürnberg eingeweiht wurde. 5000 gefälschte Eintrittskarten sorgten für mit 20.000 Zuschauern völlig überfüllte Ränge. Das Areal am Rothenbaum avancierte in diesen Jahren zur Kultstätte für Zuschauer, die mit ihren Lieblingen bei Ecken und Einwürfen auf dem engen Geläuf auf Tuchfühlung gehen konnten. Aber nicht nur dort. „In diesem Clubheim, dem Mittelpunkt der etwa 2500köpfigen HSV-Familie, lernte ich zuerst den vielgerühmten ,HSV-Geist' kennen. Hier treffen sich alt und jung, hier werden Erfahrungen gesammelt und Erinnerungen ausgetauscht, hier ist die Liga genau wie der kleinste HSVer zuhause“, schwärmte Heinz Spundflasche, der nur einen Steinwurf vom Rothenbaum entfernt aufgewachsen war.

Während die Stadien des ewigen Konkurrenten FC St.Pauli und der meisten anderen Vereine von den Bomben im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, blieb das Domizil des HSV unbeschädigt. Fußballspiele waren zwar möglich, aber riskant. Manche Begegnungen mußten wegen „Fliegeralarm“ stundenlang unterbrochen werden, die Spieler zitterten in den Umkleidekabinen um ihr Leben. Wenn der Alarm zuende war, wurde weitergespielt – wenn es noch nicht dunkel war. Trotz dieser Wettkampfbedingungen konnte der HSV in der Saison 1944/45 alle 18 Heimspiele austragen und wurde mit 34:2 Punkten Hamburger Meister.

Das Ende des Stadions wurde am grünen Tisch im Rathaus beschlossen – ohne nennenswerte Gegenwehr der zwar jammernden, aber nicht handelnden HSV-Verantwortlichen. Auch die im September 1993 gestartete Initiative „Rettet den Rothenbaum“ konnte das Aus für das einstige Mekka des Hamburger Fußballs nicht verhindern.