Harry haßt Gulasch

■ Hautnah an Derricks Schnupfen - Ein Komparse berichtet

Ich bin beim Film. Ich spiele mit Horst Tappert und Harry Klein in „Derrick“. Und zwar einen Typen, der an einer Haltestelle steht und auf den Bus wartet. Nix sonst. Ich stehe nur da und gucke den Fahrplan an.

Das finden meine Bekannten dann doch eher doof. Vor allem, als sie hören, daß ich nur knapp vier Sekunden im Bild bin. Von hinten. „Da bist du ja bloß ein Komparse“, wird richtig angemerkt, andere aber wollen wissen, wie Derrick und Harry „so privat“ sind. Tja, Horst Tappert hatte die ganze Zeit einen Schnupfen und verbrauchte Unmengen von Tempos. Und Harry haßt Gulasch. Zumindest hat er es in der Drehpause stehenlassen und gesagt: „Ähh, Gulasch!“

Es hatte genügend Zeit, dies alles zu beobachten, denn besonders aufregend war die Szene, in der ich mitspiele, ja nicht: Horst Tappert und Fritz Wepper laufen schwätzend an meiner Bushaltestelle vorbei, gehen in einen Hauseingang und klingeln. Fertig. Mehr habe ich nicht gesehen. Herr Tappert hat mir dann noch ein Autogramm gegeben und gesagt, daß ich einen schöne Pulli anhätte. Ich habe geantwortet, daß er aber auch einen schönen Pulli anhätte. Und dann hat er gesagt, das sei ein Hemd. Das war's eigentlich.

Harry hatte leider gerade keine Autogrammkarten da. Ich habe ihn dann in mein Buch „Herbst und Winter im Mumintal“ von Tove Jansson unterschreiben lassen. Die Unterschrift könnte aber auch Tove Jansson heißen. Der Mann schreibt nämlich ziemlich krakelig. Das Buch kannte er auch nicht.

Für die vier Sekunden Fahrplanstarren habe ich sechs Stunden herumgestanden. Die meiste Zeit verbringt der gemeine TV-Komparse mit Warten. Wenn er dann gebraucht wird, steht er meist dumm in der Szene rum oder läuft wahllos durchs Bild. Das soll dann „natürlich“ sein. Aber natürlich ist der arme Statist beim Durchs-Bild- Laufen überhaupt nicht mehr natürlich, schließlich sind zwei Kameras auf ihn gerichtet. Und wer steht schon „natürlich“ an einer Bushaltestelle, wenn er weiß, daß ihm dabei bald Millionen chipsessender Fernsehgucker in aller Welt zuschauen. Womöglich welche mit Glubschaugen wie Tappert. Die hat er nämlich wirklich. Bisher dachte ich immer, die werden ihm für die Dreharbeiten geschminkt, aber die sind Natur. Und seine Unterlippe hängt auch nach unten. Egal ob die Kamera läuft oder nicht. Ich wollte ihn mal fragen, ob das schon immer so war, habe mich dann aber nicht getraut.

Wenn Komparsen für Derrick oder irgendwelche anderen Produktionen gesucht werden, dann steht das meistens in der Tageszeitung, als Aufruf zu sogenannten Castings, bei denen ein Foto geknipst wird für die Komparsenkartei. Komparse kann nämlich jeder werden, der „irgendwie normal“ aussieht, und wenn man Glück hat, wird man irgendwann angerufen und zum „Set“ bestellt. Da sitzt man dann rum, schlürft Kaffee und sollte viel Zeit und viel zu lesen oder zu stricken mitbringen. Die meisten Agenturen zahlen übrigens pauschal zwischen 60 und 150 Mark inklusive Bereitschaftszeit bis zum richtigen Auftritt. Bei Nachtdrehs gibt's mehr. Und manchmal ist sogar noch ein warmes Essen mit drin.

Langzeitserien beziehen ihre „natürlichen Hintergründe“ übrigens meist übers regionale Arbeitsamt. Wer z.B. in der „Lindenstraße“ im Akropolis hocken will, muß sich an die „Komparsenvermittlung“ des Kölner Arbeitsamtes wenden.

Aber gerade bei Kneipenszenen kann das „Natürlichsein“ lange dauern, denn meist müssen viele Szenen mit ganz verschiedenen Schauspielern gedreht werden. Da dauert der Dreh für die Szene „Mittagessen“ von morgens bis abends, und man sitzt blöd vor dem kalten Ćevapčići und schiebt sich eine Gabel nach der anderen rein. Dafür erscheint man dann samt häßlichem grünem T-Shirt und kann beim Essen beobachtet werden. So sieht es wirklich beim Film aus. Frank M. Ziegler