Die Augen der Distanz

■ Die Lesbisch-Schwulen Filmtage ehren Dirk Bogarde mit einer Reihe

Nicht erst als vergehender Gustav von Aschenbach in Viscontis Tod in Venedig wurde Dirk Bogarde 1971 zur schwulen Ikone. Schon seit den frühen 60ern und The Singer Not The Song, Der Teufelskreis oder Joseph Loseys The Servant schien die Darstellung des mehr oder weniger deutlich gemachten geschlechtlich Ungehörigen seine Spezialität zu sein.

Angefangen hatte er seine Karriere mit einer ganz anderen Spezialisierung: Als sinnlicher Bösewicht in britischen Filmen der späten 40er Jahre feierte er frühe Kinoerfolge, die seine kurze Theaterkarriere im Keim erstickte. Sein Gesicht drückte die Getriebenheit des am Rand Stehenden so perfekt aus, daß er auf diese Rolle festgelegt schien. Und – trotz seiner damals schon leicht spöttischen Distanz im Blick – wurde er ein Sexsymbol für das weibliche Publikum, ein Ruf, den er 1961 wagemutig aufs Spiel setzte, als er die Hauptrolle in Basil Deardens Der Teufelskreis übernahm, dem ersten britischen Mainstream-Film zum Thema Homosexualität. 1950 stand er vor der Deardens Kamera und sagte als erster Mann im britischen Film, und auf eigenen Wunsch, „Ich liebe dich“ zu einem anderen Mann. An der Schwelle von den verklemmten 50ern zu den offeneren 60ern war Der Teufelskreis ein großer Schritt in Richtung Deutlichkeit. In Joseph Loseys The Servant brachte er eine weitere Variante verklausulierter, homosexueller Verhältnisse auf die Leinwand: eine Beziehung der Unterwerfung zwischen Diener und Herrn, deren Machtstrukturen auf den Kopf gestellt werden. Time nannte den Diener Bogardes „most substantial role“, und tatsächlich glänzte Bogarde im wahren Sinn höllisch, obwohl Regisseur Losey mit Lungenentzündung ins Krankenhaus kam und ihm die Last der Regiearbeit überließ.

1978 machte er sich daran, in Fassbinders Despair – Eine Reise ins Licht zu spielen. Die Darstellung der Höllenfahrt eines Gestörten am Rand der Nazizeit wurde, zumindest während der chaotischen Dreharbeiten, nicht zum Problem. Bogarde war der Meinung, eine seiner besten Darstellungen geliefert zu haben. Despair kam erst im Folgejahr auf, als die endgültige Schnittfassung des Films mit einem aufgelösten Fassbinder nach Cannes kam und sich als Fiasko erwies. Zwölf Jahre lang drehte Bogarde keinen Film mehr. Zwölf Jahre, in denen er die Krankheit, dann den Tod seines Lovers, mit dem er 40 Jahre gelebt hatte, verkraften mußte. Zwölf Jahre, in denen er zum Schriftsteller wurde, zum Beschreiber des eigenen Lebens. Und auch in den Zeilen auf dem Papier seinen freundlich-zynischen Blick behielt, die Verletzlichkeit und die eher angedeutete Offenheit.

In London, wohin die Krankheit des Freundes ihn getrieben hatte, erlitt er schon 1987 einen ersten leichten Schlaganfall, vor wenigen Tagen einen erneuten. Inzwischen geht es ihm, wie man hört, besser. Und das ist schön, denn Bogarde ist eine wichtige Präsenz, auch wenn er sich im Bild rar macht und lieber Worte liefert.

Thomas Plaichinger

„Despair – Eine Reise ins Licht“, heute, 17.30 Uhr, Metropolis; „The Servant“, Mi, 20 Uhr, Metropolis; „Der Teufelskreis“, Fr, 25.10., 18 Uhr, Neues Cinema