Das Portrait
: Zwei Karrieren in Deutschland

■ Berthold Goldschmidt

„Rummel“ pflegte er leicht ungläubig zu nennen, was in den letzten Jahren um seine Person veranstaltet wurde, aber genossen hat er den späten Ruhm zweifellos. Berthold Goldschmidts Karriere als Komponist begann zweimal: zunächst im Berlin der goldenen Zwanziger, dann, unter breitester Anteilnahme, in den späten Achtzigern, wo in derselben Stadt erstmals wieder ein Goldschmidt-Werk aufgeführt wurde. Was dazwischen liegt, haben Annalenverwalter der Musikgeschichte als „tragischen Fall“ beschrieben, Goldschmidt selbst sprach in unvergleichlichem Understatement von einer „kleinen Lücke“, die man allerdings überleben können müsse: Flucht vor den Nazis, die ihn als Juden verfolgten, Emigration nach London, wo Goldschmidt im Emigrantenviertel Hampstead Zuflucht fand. In der winzigen Zweizimmerwohnung, die er damals bezog, ist der Komponist am Donnerstag im Alter von 93 Jahren gestorben.

Den ersten größeren Erfolg hatte Goldschmidt 1925, als er mit seiner „Passacaglia“ für Orchester den Mendelssohn-Preis gewann. Der Sohn eines jüdischen Kaufmanns aus Hamburg hatte in Berlin Komposition studiert, 1927 wurde er musikalischer Berater und Dirigent bei Carl Ebert in Darmstadt, dem er 1931 an die Städtische Oper in Berlin folgte. Weill, Hindemith, auch Prokofieff haben Goldschmidts eklektizistischen Stil beeinflußt, dem Zeitbezug und Aktualität nicht unbedingt zuzusprechen sind. Doch die angekündigte Berliner Aufführung seiner in der Spielzeit 1933/34 in Mannheim erfolgreich uraufgeführten Oper „Der Gewaltige Hahnrei“ fand auf Anordnung der Nazis bereits nicht mehr statt.

In London mußte Goldschmidt sich mit Privatstunden durchschlagen, seine Oper „Beatrice Cenci“ erhielt zwar Anerkennung, aber keine Uraufführung. Erst die Berliner Festwochen, zu denen er 1987 und 1994 eingelanden war, bedeuteten das Ende einer langen Isolation, die er mit den Worten kommentierte: „Ich sitze hier seit 60 Jahren und plötzlich diese Explosion!“ Goldschmidt behielt immer auch Distanz zu seinem Comeback und erteilte allzu energischen Umarmungsversuchen eine Absage. Auf die Frage, ob er nicht Sehnsucht nach seinen „Wurzeln“ habe, antwortete in einem Gespräch von 1994: „Ich habe keine Sehnsucht nach nirgendwohin. Ich fühle mich als Europäer.“ Thomas Groß