„Täglich ein weißes Hemd für alle“

Die Boomregion in Thüringen: 2.000 Arbeitsplätze schafft die Opel AG in ihrem modernsten Werk, um Corsa zu bauen – stellt aber in diesem Jahr nur elf neue Lehrlinge ein  ■ Aus Eisenach Klaus-Peter Klingelschmitt

„Lean production“ heißt offenbar auch „clean production“. Zumindest bei den Opel Automobilwerken Eisenach GmbH in Thüringen. So sauber wie in einer Klinik geht es zu. Und die notwendigen Handgriffe an den rund 700 Autos, die täglich das „modernste Produktionswerk für Automobile in Europa“ verlassen, so der Vorstandsvorsitzende der Opel AG in Rüsselsheim, David J. Herman, werden längst nicht mehr von „Blue-collar-workers“ vollzogen. „Täglich ein weißes Hemd für alle“ heißt die Parole für die knapp 2.000 Beschäftigten von Opel in Eisenach. Und auf jedem weißen Hemd steht der Name des oder der Angestellten. Auch auf dem von Eric Stevens, dem jung-dynamischen Vorsitzenden der Geschäftsführung der GmbH.

Der 500.000. Opel made in Eisenach lief gestern vom Band. Und nicht ohne Stolz wies Eric Stevens auf der Feierstunde am Fuße der Wartburg auch darauf hin, daß Opel Eisenach – nach einer Studie des englischen Wirtschaftsinstituts Economist Intelligence Unit – die „produktivste Automobilfertigungsstätte Europas“ sei. 1.900 MitarbeiterInnen bauen in drei Schichten im Schnitt 72 Fahrzeuge pro Jahr und MitarbeiterIn. Trotzdem bekommen die AutobauerInnen rund dreißig Prozent weniger Lohn als ihre KollegInnen in Rüsselsheim. Eine solche Produktivitätsquote schafft auch in den Staaten kein anders Automobilwerk, wie David Herman weiß. Zum Vergleich: Die VEB Automobilwerke Eisenach (AWE), die zu DDR-Zeiten den Wartburg produzierten, fertigten mit fast 10.000 MitarbeiterInnen lediglich 60.000 Fahrzeuge im Jahr.

Die vorgelegten Zahlen beeindruckten auch Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP), der Opel bescheinigte, in Thüringen zum „Kristallisationspunkt der industriellen Entwicklung“ geworden zu sein. Das alles, sagte Rexrodt weiter, sei allerdings ohne den Leistungswillen und die gewaltige Reformbereitschaft der Menschen in Ostdeutschland „nicht denkbar“ gewesen. Natürlich sei aber auch die Arbeitslosigkeit auch in Thüringen noch „unerträglich hoch“, klagte der Minister.

In der Tat wurden rund 8.000 Ex-AWE-AutomobilwerkerInnen in Eisenach von Opel nicht mit hinüber in die neue Zeit gerettet. Doch Vorstand Herman macht den „Bedenkenträgern“ eine andere Rechung auf. Seit bei Opel Eisenach im Oktober 1990 der erste Vectra im schnell hochgezogenen Montagewerk zusammengeschraubt wurde, hätten mehr als 2.000 Menschen im Dienstleistungsgewerbe gerade wegen Opel in Eisenach und Umgebung eine neue Arbeit gefunden. Und rund 400 Opel-Händler- und Servicebetriebe seien in dieser Zeit in den neuen Ländern aufgebaut worden, bei denen 10.000 weitere Menschen Arbeit und Brot gefunden hätten. Im Opel-Wartburgkreis würden inzwischen etwa 20 Prozent aller Umsätze und 30 Prozent aller Exporte des Landes Thüringen erwirtschaftet.

Also alle wunschlos glücklich bei Opel in Eisenach? Auch weil sich die Investition von Opel in Höhe von etwa einer Milliarde Mark in Eisenach längst amortisiert hat, denn das Werk erzielte 1995 erstmals einen Gewinn von 33,5 Millionen Mark? Und auch weil Opel in Eisenach demnächst von der EU das Markenzeichen „Öko-Audit“ verliehen bekommt? Es war Rexrodt, der noch „einen Wunsch“ an Opel frei hatte: „Die schnelle Weiterentwicklung des Drei-Liter-Corsas.“

Jugendliche vor dem Werkstor hatten ein ganz anderes Anliegen: Sie monierten, daß Opel mit seinen 2.000 AbeiterInnen in diesem Jahr nur ganze 11 Lehrlinge eingestellt hat.