Nach dem Lauschangriff

■ Italiens Justiz attackiert den Enthüllungsjournalismus und droht mit Gefängnis

Nach Ansicht des Vorsitzenden des Italienischen Presseverbandes, Paolo Serventi Longhi, hat „da wohl jemand geradezu mit einem Blitzstart vorauseilenden Gehorsam gezeigt“. Von einem „unseligen Zusammenspiel von Exekutive und Judikative“ spricht auch der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins L'Espresso, Claudio Rinaldi. Abgeordnete von links wie rechts empören sich über einem Strafkatalog, mit dem Italiens Mitte-Links-Regierung gegen die Veröffentlichung nicht freigegebener Dokumente etwa aus Ermittlungsakten vorgehen will und bereits geht: Nur wenige Stunden nach Inkrafttreten des Gesetzes wurde ein Strafverfahren gegen die L'Espresso-Redakteurin Rosanna Santoro eingeleitet. Sie hatte eine Reihe von Lauschangriff-Mitschnitten aus dem derzeit größten Bestechungsskandal um die staatliche Eisenbahn veröffentlicht. Nun drohen ihr schon jetzt bis zu zehn Jahre Gefängnis. Offizieller Aufhänger der Anti-Enthüllungskampagne ist die Verbreitung von Auszügen aus Gesprächen, die der Italoschweizer Bankier Pacini Battaglia mit verschiedenen Besuchern und Telefonpartnern geführt hat. In den Mitschriften stehen unter anderem Namen von Personen, die in die unterstellten (und der Lauschangriffserlaubnis zugrundeliegenden) Verbrechen nicht verwickelt sind. Nach dem Gesetz müssen derlei Namen und Bemerkungen sofort gelöscht und aus den Protokollen getilgt werden: Doch in den von L'Espresso publizierten Auszügen kamen zahlreiche Namen vor, die mit dem akuten Fall nichts zu tun hatten – ein in der italienischen Presse durchaus gängiges Verfahren. Denn derart unverblümt fällt kaum eine andere Journaille über echte oder auch nur mutmaßliche Bösewichte her. So wird bei Verhaftungen grundsätzlich der volle Name und die Adresse genannt. Vor diesem Hintergrund unterstellt die Staatsanwaltschaft auch im jüngsten Fall eine schwere Rufschädigung der Betroffenen, weil der Eindruck entstanden ist, sie seien in die Machenschaften verwickelt.

Justizminister Gianni Maria Flick, dem bisher in seinem Amt Augenmaß nicht abzusprechen ist, legte einen Gesetzentwurf vor, der mit mehrjährigen Haftstrafen bedroht, wer „Ergebnisse von Ermittlungen, insbesondere von telefonischen Aufzeichnungen“ veröffentlicht und „dabei die Namen in die Ermittlung nicht einbezogener Personen derart nennt oder erkennbar macht, daß eine Rufschädigung oder eine Schädigung anderer Art eintreten kann“.

Daß die Weitergabe von Informationen über nichtbetroffene Personen unter Strafe gestellt wird, leuchtet den meisten Kommentatoren dabei durchaus ein — doch skeptisch sind die meisten, ob das Gesetz am Ende auch diejenigen erfaßt, die diese Informationen (oft gegen viel Geld) aus den Ämtern hinausschleusen. Da man bei der Vielzahl an einem Vorgang beteiligter Personen in aller Regel der „Maulwürfe“ in den Ämtern nicht habhaft wird, suche die Justiz eben den „Endabnehmer“ vom Gebrauch abzuhalten, also die Journalisten, „so wie bei der Strafandrohung gegen Rauschgiftkonsumenten“ (il manifesto).

Bisher sind allerdings derlei Anstrengungen meist im Sande verlaufen. So wurden vor drei Jahren zwei Journalisten aus Sizilien (Mitarbeiter von la Republica und L'Unita) wochenlang in Untersuchungshaft genommen, weil sie Auszüge aus Geständnissen hoher Mafia-Zuarbeiter in den Regionalregierungen veröffentlicht hatten. Nach einer beispiellosen Protestkampagne, die vor allem von der Auslandspresse angeschoben wurde, kamen die beiden wieder frei — und das Verfahren wegen „mißbräuchlicher Verwendung geheimzuhaltender amtlicher Dokumente“ wurde sang- und klanglos eingestellt. Ebenso ist auch der ehemalige lombardische Abgeordnete Sergio Andreis noch immer auf freiem Fuß — ihn hatte ein Mailänder Staatsanwalt 1986 im Würgegriff, weil der damalige Regionalrat nach Büroschluß einen zur Geheimsache erklärten EG- Bericht über Umweltsünder in der Lombardei aus dem Schreibtisch des Wirtschaftsdezernenten genommen, fotokopiert, wieder zurückgelegt und dann die Kopien an die Presse verteilt hatte.

Möglicherweise um die faktische Straffreiheit in solchen Fällen zu reduzieren, sollen nun neue Normen her, die den veröffentlichenden Organen nicht mehr nur wegen Lüftung von Geheimsachen ans Leder gehen (was bei vielen Prozessen um Unregelmäßigkeiten in Ämtern wenig Verständnis in der Öffentlichkeit findet), sondern auch wegen der schlichten Preisgabe von Namen — was dann in Zivilklagen in ansehnliche Schadenersatzansprüche umwandelbar wäre. Was die Zeitungen und die JournalistInnen empfindlich treffen würde. Werner Raith