■ Kommentar
: Streichorgien des Krankheitsministers

Der sogenannte Gesundheitsminister hat wieder einmal zugeschlagen: Horst Seehofer spart die Gesundheitsförderung ersatzlos ein und streicht diesen Leistungsanspruch aus dem Sozialgesetzbuch. Das Geld der Krankenkassen sei für kranke Menschen bestimmt und nicht für die Gesundheit der Versicherten, lautet seine spitzfindige Begründung.

Gesundheitsförderung soll Menschen mehr Selbstbestimmung über ihr Befinden geben und ihnen Fähigkeiten zur Stärkung ihrer Gesundheit vermitteln. Autonomie für den einzelnen Bürger in Gesundheitsfragen ist das Ziel dieses Konzeptes, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit der Ottawa-Charta vor zehn Jahren zum Maßstab vernünftiger Gesundheitspolitik erhob. Ärzte und Sozialwissenschaftler aus Deutschland waren an der Neuorientierung der WHO maßgeblich beteiligt. Ihre Zielsetzung fußt auf der Tradition einer sozialen Krankenversicherung und dem alten Postulat von Rudolf Virchow: „Medizin ist eine soziale Wissenschaft.“

„Weg mit der Gesundheitsförderung“, entscheidet nun aber die Regierung in Bonn. Der zuständige Minister rechnet den Kostenfaktor aus der sozialen Krankenversicherung einfach heraus und bucht diesen Gewaltakt als besonderen Sparerfolg. Sind solche Entscheidungen dumm oder bösartig?

Was an Prävention im Gesundheitswesen gespart wird, kommt als Krankheitslast doppelt und dreifach kostenpflichtig zurück. Wer beispielsweise unter Rückenschmerzen leidet und mit Yoga-Übungen oder Gymnastik- Kursen seine Bandscheibe selbst gesunden läßt, soll keine Unterstützung durch die Krankenversicherung erhalten. Wer dagegen nach Spritzen, Tabletten oder Operationen giert, erhält das dafür nötige Geld! Jeder weiß aber, daß Vorbeugen und Selbstheilen besser und billiger kommt als fremdbestimmte Therapie.

Der Minister in Bonn leugnet dieses Wissen. Mit großer Geste inszeniert er seine Macht und betreibt Systemkosmetik zugunsten des medizinisch-industriellen Komplexes. Statt Schaden von der deutschen Bevölkerung abzuwenden und die Gesundheit der Menschen zu fördern, subventioniert er lieber die Pharmaprofite, die Krankenhausgewinne oder den Operationsaufwand. Der Standort Deutschland verlangt nach seiner Sichtweise eben mehr Krankheiten und mehr lukrative Medizin.

Horst Seehofer sollte sich daher realitätsgerecht Krankheitsminister nennen. Und Krankenkassen, die sich zu Gesundheitskassen wandeln wollen, müssen auf die Barrikaden gehen, um die Interessen ihrer Versicherten zu verteidigen. Der Amoklauf der Bonner Gesundheitspolitik gegen die Prävention kann nur gestoppt werden, wenn die Krankenversicherten ihre eigenen Bedürfnisse organisieren und die notwendige Gesundheitsmedizin politisch durchsetzen. Es wird höchste Zeit, daß die Mitglieder der Solidargemeinschaften in der gesetzlichen Krankenversicherung den Entsolidarisierern in Bonn Einhalt gebieten und selbst individuelles Wohl mit sozialer Gesundheit politisch verknüpfen. Auch die Ärztinnen und Ärzte im Land dienen der Gesundheit der Menschen und nicht dem Minister in Bonn. Gefordert ist ein politisches „Bündnis für Gesundheit“ von Krankenkassen und Ärzteschaft.

Die Arroganz und Überheblichkeit eines Krankheitsministers fordert eben Arzt wie Patient heraus und zwingt sie zu einer neuen strategischen Kooperation. Eine Politik für die Gesundheit der Bevölkerung und eine Medizin, die den Menschen dient und nicht mehr den Profiteuren, muß von unten nach oben, vom Wähler gegen die Regierenden durchgesetzt werden. Dies ist die Lehre aus den Streichorgien einer fehlgeleiteten Politik, die mit selbstgerechtem Unverstand Prävention und Gesundheitsförderung zerstört. Ellis Huber