Nur die Käufer fehlen

Eins zu eins: Der belgische Konzeptkünstler Guillaume Bijl hat im Kunstverein Hannover fiktive Museen und andere Simulacra nachgebaut  ■ Von Sylvia Nagel

Schummeriges Licht, schwere Samtgardinen vor den Fenstern. An den Wänden großformatige Ölgemälde und Drucke mit Landschaftsmotiven. Auf dem Tisch das Kaffeeservice, ein aufgeschlagenes Notenheft liegt auf dem Klavier. Das Bett, rechts an der Wand, sieht aus wie frisch bezogen. Als ob der Bewohner das Zimmer soeben verlassen hätte, um seinen alltäglichen Geschäften nachzugehen. Daneben ein reichlich strapazierter Sessel mit rotem Bezug, eine Jugendstillampe auf dem Sideboard.

Tatsächlich handelt es sich bei Guillaume Bijls genauer Rekonstruktion um das Sterbezimmer des Komponisten Johannes Vogl. Er lebte in Wien Ende des letzten Jahrhunderts. Angeblich. Denn es stellt sich heraus: Der Komponist Johannes Vogl und sein Sterbezimmer sind eine Erfindung des belgischen Konzeptkünstlers. Bijl hat das Zimmer des fiktiven Musikers so authentisch im Kunstverein Hannover nachgestaltet, als ob dieser wirklich gelebt hätte. Auf dem Weg zum Sterbezimmer begegnet man in einer Vitrine dem Metronom Vogls, einem Porträt seiner Mutter, seinem Lebenslauf auf Texttafeln.

Wie weit reichen Realität und Fiktion? Die Irritation ist perfekt, wenn man vor der Absperrung zum Sterbezimmer des Komponisten steht, eine Wallfahrtsstätte für seine Fans. Man fühlt sich an „Graceland“, die Villa des King of Rock 'n' Roll, erinnert oder auch an das Grab Elvis Presleys in Memphis, zu dem jedes Jahr Zehntausende pilgern. Der in Antwerpen geborene Bijl führt die Absurdität dieser Verehrung der Ikonen aus Musik, Kunst oder Literatur plastisch vor. Gerade in der Perfektion der Inszenierung kippt die Nachbildung ins Paradoxe um.

Einer Illusion begegnet man auch im nächsten Zimmer. Dort liegt ein roter Teppich in der Mitte aus, der vor einem mit schwarzem Stoff drapierten altarähnlichen Tisch endet. Rechts und links vom Teppich Stuhlreihen. Im ganzen Raum Skulpturen und Bilder in wertvollen Rahmen. In einer Vitrine liegt ein Auktionskatalog aus. „Auction House“ nennt Bijl seine „Transformationsinstallation“. Sothebys in Hannover: Alle Zeichen deuten auf das altehrwürdige Auktionshaus hin. Hier könnte tatsächlich eine Versteigerung stattfinden. Es fehlen nur die Käufer. Guillaume Bijl setzt seine Inszenierungen im Verhältnis eins zu eins um. Das Auktionshaus führt ebenso wie das Sterbezimmer des Komponisten Rituale des sozialen Raums vor. Die Figuren, die der Belgier für „The Concise History of Prehistoric Man“ vor Wände aus blauem Pappmaché stellt, erinnern wiederum an Exemplare aus ethnologischen Museen. Nur die Tafel, die einem erklärt, daß man sich auf diese Weise die Menschen der Steinzeit vorzustellen habe, wurde ausgespart. Langhaarige Wilde tragen Lendenschurze und haben Steine oder Holzstäbe in der Hand, mit denen sie Tiere erlegen. Die Ethnologie soll hier entlarvt werden, bemüht sie sich doch schließlich auch nur darum, über Bilder, die wir uns machen, eine mögliche Realität herzustellen. Den Besuchern der Museen dürfte klar sein, daß die Steinzeitmenschen in den Vitrinen nur eine potentielle Abbildung vergangener Wirklichkeit sind.

Guillaume Bijl empfindet sich als Regisseur, der kulturelle Objekte und Besucher lediglich zusammenführt. Erst im Miteinander wird Realität geschaffen und diese zugleich wieder ad absurdum geführt. 1979 begann Bijl mit dieser Art von Projekten, als er in einer Antwerpener Galerie eine Fahrschule einrichtete. Für Vorbeigehende war sie Realität. Bei den Galeriebesuchern stellte sich ein gewisses Befremden ein. Das gleiche gilt für das „Wax Museum“, ebenfalls in Hannover zu sehen, das Bijl 1992 für die neunte Documenta entwarf. Aus Schaufenstern in der Innenstadt Kassels blickten einem die Gründer der Documenta, Arnold Bode und seine Frau, Joseph Beuys als Lokalmatador der Großausstellung und deren Leiter Jan Hoet entgegen – als Panoptikumsfiguren in Wachs.

Jetzt stehen sie im Kunstverein in schwarz ausgekleideten Kabinetten. Bode, Hoet und Beuys werden als die Helden der Nachkriegskunst präsentiert. Dabei nimmt Bijl auch ihre Musealisierung aufs Korn: Ihr avantgardistisches Schaffen wird durch die Verbannung ins Museum sogleich wieder entschärft.

Guillaume Bijl: „Tranformationsinstallationen“. Im Kunstverein Hannover, bis 20. Oktober. Der Katalog (nl./engl./franz./dt.), 136 Seiten, 86 Farbabb., kostet 42 DM