Wahlen in Neuseeland

■ Verhältniswahl macht populistische Rechte zu gefragtem Koalitionspartner

Wellington (taz) – Wenn Neuseeland heute ein neues Parlament wählt, hat das auch viel mit Deutschland zu tun. Erstmals wählt der Inselstaat im Pazifik nach Bonner System. Wie bei der Wahl für den Bundestag werden die Wahlberechtigten zwei Stimmen haben: Eine entscheidet über die Zusammensetzung des Parlaments, mit der anderen wird die Vertretung des Wahlkreises bestimmt. Die Fünfprozentklausel wurde auch importiert.

In der englischsprachigen Welt wird dies einmalig sein. Parlamentarische Demokratie war dort bislang gleichbedeutend mit dem britischen Modell: Die Zusammensetzung des Parlaments hängt allein von der Wahl der Wahlkreiskandidaten ab. Chancen haben nur die KandidatInnen der großen Parteien.

Ausschlaggebend für die Abschaffung des Mehrheitswahlrechts in Neuseeland war die Unzufriedenheit mit Labour und den Nationals, die bisher im Wechsel das Land regierten. So enttäuschte die Labour-Partei 1984 große Teile ihrer traditionellen Wählerschaft durch den Abbau des Sozialstaats. Den setzte die Nationalpartei, die 1990 an die Macht kam, fort. Ende 1992 stimmten 85 Prozent für eine Wahlrechtsreform. Jüngsten Umfragen zufolge wollen etwa 30 Prozent der Wähler für die Spitzenkandidatin der oppositionellen Labour-Partei, Helen Clark, stimmen und weitere 30 Prozent für den regierenden Premierminister der Nationalpartei, Jim Bolger, wobei die Chancen der Oppositionsführerin steigen. Etwa fünf weitere Parteien haben Aussicht auf den Sprung über die Fünfprozenthürde. Das ist das Ende der einfachen Unterteilung in eine Regierungs- und eine Oppositionspartei.

Der Allianz von vier linken Parteien und den Grünen werden etwa 17 Prozent der Stimmen prognostiziert. Sie will sich bislang aber an keiner Regierungskoalition beteiligen. Die populistische New-Zealand-First-Partei kann mit voraussichtlich zehn Prozent der Stimmen ebenso mit Parlamentssitzen rechnen. Ihr Kandidat Winston Peters war vor vier Jahren aus der Nationalpartei ausgeschlossen worden. Peters macht asiatische Einwanderer für jegliche sozialen Mißstände verantwortlich und will die Aufnahme von Ausländern um 80 Prozent verringern. Ausländische Beteiligungen an neuseeländischen Unternehmen will er drastisch beschränken. Dennoch gilt seine Partei als potentieller Koalitionspartner der Labour. Der Wunsch, die Nationalpartei abzulösen, verbindet.

Das neuseeländische Experiment könnte in London Schule machen: Der britische Labour- Chef Tony Blair hat für den Fall einer Regierungsübernahme im nächsten Jahr ein Referendum über eine Wahlrechtsreform auch für Westminster angekündigt. Eric Chauvistré