Enthusiasmus zweier Vereinskassierer

In der ersten TV-Debatte des US-Wahlkampfs hat Bob Dole kaum Punkte holen können  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Der gewiefte Wahlkampffan hatte sich an diesem Abend mit Bier und Popcorn eingedeckt und den Benotungsbogen für Fernsehdebatten zurechtgelegt – herausgegeben von der Zeitschrift Campaigns & Elections, dem Fachmagazin für die boomende Wahlkampfindustrie: Für offensive Rhetorik, direkte Antworten und „übertroffene Erwartungen“ gab es Pluspunkte; Abzüge hingegen für schlechtes Make-up, „unangenehme, ablenkende Mimik“, „unvollständige Redebeiträge“ oder fehlende Energie.

An den geschminkten Gesichtern und sorgfältig gekämmten Scheiteln von Bill Clinton und Bob Dole war in dieser ersten von zwei TV-Debatten nichts auszusetzen – wohl aber an ihrem Energielevel. Bloß keine Eklats, emotionalen Ausbrüche oder rhetorischen Pannen riskieren, hieß die Devise in beiden Lagern. Mit dem Enthusiasmus zweier Vereinskassierer beim Jahresbericht reihten der US-Präsident und sein republikanischer Herausforderer Haushaltspläne, Steuerversprechen und Defizitprognosen aneinander. Nach 20 Minuten sehnte man sich nach Ross Perots quäkiger Stimme und zielgruppenuntauglicher Verschrobenheit oder nach Ralph Naders penetranter Beharrlichkeit, statt Wahlkampfslogans lieber Strukturprobleme zu diskutieren. Doch der texanische Milliardär, der vor vier Jahren immerhin 19 Prozent der Stimmen erhielt, wurde dieses Mal auf Betreiben des Wahlkampfteams von Bob Dole von den Debatten ausgeschlossen. Nader, legendärer Vorkämpfer im Verbraucher- und Umweltschutz und 1996 Spitzenmann der US-amerikanischen Grünen, zieht es aus Pinzipientreue vor, als „Barfuß“-Kandidat mit möglichst wenig Geld und ohne große Medienpräsenz durch die Lande zu ziehen.

So war die Ausgangslage für Clinton und Dole vor dieser ersten Debatte relativ einfach: Vier Wochen vor den Wahlen weist Clinton – je nach Umfrage – einen Vorsprung von 10 bis 21 Prozent auf. Gespickt mit Daten über neue Jobs, Fortschritte bei der Krankenversicherung, Kredite für Studenten, den Abbau des Defizits, die Ausweitung der Todesstrafe und die sogenannte Reform des Sozialhilfewesens präsentierte er sich als optimistischer und erfolgreicher Amtsinhaber, der weitere vier Jahre verdiene, weil er „Amerikas Brücke ins 21. Jahrhundert“ bauen will.

An diesem Image vermochte Bob Dole an diesem Sonntag abend in Hartford im Bundesstaat Connecticut nicht zu rütteln – auch wenn er einige Male seinen durchaus schlagfertigen Witz aufblitzen ließ und trotz seiner berüchtigten Neigung zu emotionslosen Reden und unvollständigen Sätzen den bösen Spitznamen „Dead Man Talking“ abschütteln konnte.

Die TV-Debatten am Sonntag in Hartford und am 16. Oktober im kalifornischen San Diego gelten auch im Lager Doles als letzte Chance für den republikanischen Herausforderer, das Rennen noch einmal spannend zu machen. „Der Mann braucht ein Wunder“ – mit diesen Worten hatte der Televangelist und ehemalige Präsidentschaftsbewerber Pat Robertson Dole vor kurzem auf der Jahresversammlung der christlich-fundamentalistischen Christian Coalition vorgestellt. Übernatürlicher Beistand blieb in Hartford jedoch aus. Das dokumentierte nicht zuletzt der „perception analyser“, mit dem NBC eine Gruppe von Zuschauern ausgestattet hatte. Dabei handelt es sich um ein Gerät, mit dem die Versuchspersonen per Drehregler unmittelbar positive oder negative Reaktionen auf Worte eines Politikers signalisieren können. Die Kurven auf diesem Emotions-EKG blieben für Dole beängstigend flach.

Abgesehen von seinem – manchmal sympathischen – Unvermögen, sich an die rhetorische Glattheit seines Gegenübers anzupassen, sprechen zwei große Trends gegen Bob Dole: Weiße Mütter aus Suburbia – die umworbenste Zielgruppe bei diesen Wahlen – sind in Scharen zu Bill Clinton übergelaufen. Favorisierten 1992 noch 48 Prozent von ihnen George Bush und nur 27 Prozent Bill Clinton, so hat der Präsident mittlerweile die Hälfte der „soccer moms“ hinter sich, während nur 27 Prozent für Dole stimmen wollen. Der Spitzname der „Fußball- Mama“ beschreibt für Wahlkampfstrategen mittlerweile den Typus der verheirateten Mutter Mitte Dreißig, die in ihrem Alltag Job, Haushalt und das unendliche Chauffieren ihrer Kinder zu diversen Freizeitaktivitäten jonglieren muß. Fortschritte bei der Krankenversicherung, schärfere Gesetze zur Waffenkontrolle, bezahlter Urlaub in familiären Notfällen, staatliche Hilfe für die College- Ausbildung des Nachwuchses, ein härterer Umgang mit Straftätern – all das hat diese Frauen für Bill Clinton eingenommen.

Der Wechsel der „soccer moms“ ins Clinton-Lager vervielfacht Bob Doles größtes Manko: Er findet keine Resonanz bei Wählerinnen. Frauen favorisieren ganz klar Bill Clinton, während der Republikaner bei Männern nur einen mageren Vorsprung hat.

Doles zweites Problem besteht im sehr sporadischen Interesse der US-Bürger an diesem Wahlkampf, den die Presse schon vor Monaten für langweilig befunden hat. Die meisten (88 Prozent) wissen laut Umfrage der Washington Post und der Harvard-Universität immerhin, daß Bob Dole der Präsidentschaftskandidat der Republikaner ist. Die Mehrheit gibt allerdings zu, daß sie dem Wahlkampf bislang „wenig“ oder „keine Beachtung“ schenken.

Rund ein Viertel weiß nicht, daß Ross Perot offiziell kandidiert und Al Gore an der Seite Bill Clintons wieder Vizepräsident werden möchte. Rund 40 Prozent haben noch nichts von Jack Kemps neuer Rolle als Doles Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten gehört. Was dem Republikaner besonders sauer aufstoßen muß: Bill Clinton hat in den letzten beiden Jahren die republikanische Programmatik so effektiv usurpiert, daß ihm Wähler konservative Positionen zugute halten, die gar nicht die des Präsidenten, sondern seines Herausforderers sind.

Vor diesem Hintergrund Wunder zu vollbringen, ist vermutlich eine Überforderung des 73jährigen Dole, der seinen Debattenauftritt mit einem sehr ungelenken Appell an die jungen Wähler schloß, die Finger von Drogen zu lassen („Just say no“) und ihn politisch zu unterstützen. „Engagieren Sie sich. Besuchen Sie meine Homepage.“ Dann buchstabierte er – konzentriert wie ein ABC-Schütze – die Adresse: „ww-dot-dole-96- dot-com“.