Nobelpreis für Polens große alte Dame

Die Lyrikerin Wislawa Szymborska erhält den diesjährigen Nobelpreis für Literatur. Obwohl schon vielfach geehrt, wurde die 73jährige von der Nachricht völlig überrascht  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Wislawa Szymborska, ein zierliches Persönchen von 73 Jahren, wird den diesjährigen Literaturnobelpreis erhalten. „Damit habe ich nicht gerechnet“, meinte sie in einer ersten Reaktion im Warschauer Radio Zet. Und: „Dies ist zugleich eine hohe Auszeichnung für die ganze polnische Poesie.“ Verehrer ihrer ironisch-subversiven und scharfsinnigen Lyrik preisen die zurückhaltende Dichterin als Grande dame der polnischen Poesie. Jüngere DichterkollegInnen sind da etwas respektoser. Für sie gehört Szymborska schon zum klassischen Kanon der „heiligen Kühe“, die in die Schullektüre eingegangen sind. Auf der Leipziger Buchmesse im Frühjahr diesen Jahres lachte Szymborska: Kühe seien doch sehr liebenswerte Tiere. Nur mit dem „heilig“ solle man doch bitte bei ihr etwas vorsichtiger sein.

Die am 2. Juli 1923 in Bnin bei Posen geborene Dichterin zog 1931 in die Kulturmetropole Krakau, studierte dort an der Jagellonica-Universität polnische Literatur und Soziologie und debütierte 1945 mit den Gedicht „Szukam slowa“, „Ich suche das Wort.“ Von 1953 bis 1981 arbeitete sie als Rezensentin für die wöchentlich erscheinende Literaturzeitschrift Zycie Literackie (Das literarische Leben). Unter der Rubrik „keine obligatorische Lektüre“ rezensierte sie neben Lyrik auch Kochbücher, Reiseführer und Bücher über Gartenbau. Die junge Lyrikerin versuchte sich zunächst im realsozialistischen Stil, distanzierte sich aber später von diesem Frühwerk und schrieb nur noch „unpolitische“ Gedichte, die bei der immer argwöhnischen Zensur leichter durchkamen. 1991 wurde sie in Deutschland mit dem Goethe- Preis der Stadt Frankfurt ausgezeichnet. Vier Jahre später erhielt sie den Herder-Preis und wurde auch mit dem Preis des polnischen PEN-Klubs geehrt.

Die Universität Poznan verlieh ihr die Ehrendoktorwürde. Szymborskas Werke wurden außer in die meisten europäischen Sprachen auch ins Arabische, Hebräische, Japanische und Chinesische übersetzt. Fünf ihrer Gedichtbände sind in deutscher Übersetzung erschienen.

Die Dichterin wendet sich gerne scheinbar alltäglichen Themen zu und gibt ihnen in virtuos präziser Sprache eine Wendung ins Absurde. „Sterben – das tut man einer Katze nicht an. / Denn was soll eine Katze / in einer leeren Wohnung. / Die Wände hochklettern. / An den Möbeln scheuern. / Geändert wurde hier nichts, / und doch ist alles verändert. /Scheinbar nicht umgestellt / und doch durcheinandergeschoben. / Und die Lampe brennt nicht mehr am Abend / ...“

Der Frankfurter Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki bezeichnete Szymborska als „bedeutendste Dichterin des Landes“, deren „sehr nachdenkliche, ironische Lyrik ein bißchen zur philosophischen Poesie neigt“. Das Entscheidendste sei die sprachliche Kraft ihrer Lyrik, sagte Reich-Ranicki im Deutschen Dienst des Radiosenders BBC.