Kurt Scheels Lichtspiele
: Zauber des Wohlklangs

■ Über Filmmusik und ihren Transfer: Wir gaben ihnen Kunst, sie gaben uns Spaß

Wenn ich meine Lieblingsfilme Revue passieren lasse, gräme ich mich meistens über das schreckliche Durcheinander: Da liegen Western neben Krimis, Musicals neben Mantel-und-Degen-Filmen, da toben die Marx Brothers mit Hitchcock herum, Ford und Truffaut, Kubrick und Scorsese, Preston Sturges und Woody Allen – kein Godard, leider –, und es ist absolut kein Ordnungsprinzip erkennbar, nur Bruchstücke einer großen Konfusion...

Doch halt! Da fällt mir auf, daß es kaum einen Film gibt, den ich wirklich liebe, von Herzen (und wo es mir daher egal ist, was die zuständigen Filmbewertungsinstanzen von ihm halten), der mich nicht auch durch seine Musik verführt hätte, und die besten Stücke kann ich in der Regel sogar singen oder summen: das wunderbare irische Volkslied in „Young Mr. Lincoln“, wenn Henry Fonda am Grab seiner Geliebten mit ihr spricht; der große Gesang in „Red River“, wenn der Treck aufbricht; der Titelsong von „The Searchers“, gesungen von den unvergleichlichen und unvergessenen Sons of the Pioneers: „A man will search his heart and soul... Ride away, ride away, ride away...“

Bei manchen Filmen sind es aber nicht nur einzelne Songs, die mich verzaubern, da ist es der ganze Soundtrack. Ich rede hier nicht von dem Hintergrundgedudel: der singenden Säge, wenn das Unheil dräut; der Streicherorgie, wenn Herz und Schmerz verschmelzen; dem komischen Rülpsen des Saxophons, wenn wir lachen sollen – das ist auch sehr schön, aber für diese Art von Filmmusik gilt, was eine mittlerweile zum Glück obsolet, ja opak gewordene repressive Pädagogik einst kleinen Kindern vorzuschreiben sich nicht entblödete: Man soll sie sehen, aber nicht hören.

Bei Musicals und Musikfilmen liegt das auf der Hand, ich meine hier aber etwas anderes: beispielsweise den Soundtrack von „Vom Winde verweht“. Ich kann noch immer nicht recht glauben, daß der Film bei der triumphalen Preview ohne Musik gezeigt wurde, denn daß ich den Film liebe wie jeder Verständige, hängt ja nicht zuletzt von Max Steiners wunderbarer Musik ab. Wer nicht beim Main Title, dem „Tara Theme“ – „Dadiiidadiii, dadiiidadiii, dadiiidadiiidiii, dadiiidadiii“ –, mit den Tränen kämpfen muß, hebe sich hinweg.

Oder die Ballmusik in Atlanta, diese herrliche Polka, und zuerst sieht man nur Scarletts Krinolinenhintern und dann ihre kleinen, anbetungswürdigen Schühchen, im Takt der Musik auf der Stelle trippelnd. Oder das Liebesmotiv „Ashley and Scarlett“ mit seinem endlosen Drängen und Sehnen – eine Nichterfüllung, mindestens so quälend wie in „Tristan und Isolde“, nur eben ohne diesen ganzen Germanenquatsch.

Apropos Wagner: Als Vorläufer von Gustav Mahler hat er ja zweifellos seine Verdienste, aber seine wahre Bedeutung wird einem erst klar, wenn man seinen Einfluß auf Hollywood bedenkt: Wagners Leitmotivik, das Ornamentale und Kulissenhafte – verquirlt mit dem Sentiment Tschaikowskys und einigen anderen spätromantischen Ingredienzien – waren doch die Quellen, aus denen die Steiner, Tiomkin, Rozsa, Newman, Korngold und Waxman schöpften! Alle übrigens nicht in Amerika geboren, und so zeigt sich auch in diesem Bereich der Filmmusik, daß das Verhältnis von Europa und Amerika ein durchaus produktives sein kann; in Abwandlung der Astaire/Rodgers-Charakterisierung könnte man sagen: „We gave them art, they gave us fun.“

Die richtig üppige, süffige, opernhafte Filmmusik hat ihre schönsten, fettesten und schillerndsten Blüten natürlich in solchen Momumentalschinken wie „Vom Winde verweht“ getrieben, und zu dieser Sorte gehört zweifellos auch „Die Meuterei auf der Bounty“ mit Marlon Brando, Musik von Bronislau Kaper (gebürtiger Pole): Das Hauptthema mit seinem Getröte und Gefiedel, volles Rohr begleiten die Hörer das Stampfen des Schiffes, und die Becken lassen musikalisch die Gischt spritzen; oder dieses wunderbare tahitianische Liebeslied, a capella, ein Frauenchor, in den manchmal die Männer hineinbrummen, sehr ernst und sehnsüchtig, wie sie eben ist, die dumme Liebe.

Und was ist mit Nino Rotas Musik zum „Paten“ und Maurice Jarres zu „Lawrence von Arabien“? Und was hat das alles primär-prozeßhaft-psychoanalytisch zu bedeuten? Darüber, liebe LeserInnen, in vierzehn Tagen. Kurt Scheel