„Wir erleben gerade die Agonie des Patriarchats“

Ingrid Kurz-Scherf, Marburger Hochschullehrerin für Politikwissenschaft, über die Zukunft des Mannes, der Arbeit und des Sozialstaats. Mit ihr sprach  ■ Ute Scheub

taz: Was würden Sie tun, wenn Sie Bundeskanzlerin wären?

Eigentlich will ich ja lieber Papst werden.

Schade.

Mag sein, aber ich wollte immer so gern, daß Männer auch ihre Tage kriegen, weil dann wahrscheinlich selbst der Bundeskanzler alle vier Wochen einmal seine Regierungsgeschäfte für mindestens zwei Tage ruhen ließe. Und um das zu erreichen, muß man nun eben mindestens Papst werden, wenn nicht sogar dessen Chef.

Wieso eigentlich Papst und nicht Päpstin?

Weil diese reinen Herrschaftspositionen ruhig ihren männlichen Namen behalten können. Wir wollen sie im Ernst ja nicht haben, sondern abschaffen.

Und wie ist das nun mit der Bundeskanzlerin?

Langfristig wird manundfrau sich zu dem ganzen System der oft ja nur vorgeblich repräsentativen Macht etwas einfallen lassen müssen – damit manundfrau in solchen Positionen nicht abdriftet in so eine Art Cyberspace weit ab vom wirklichen Leben.

Aber was würden Sie denn nun als Bundeskanzlerin tun?

Na gut. Also ich würde als erstes Frauenministerin Claudia Nolte entlassen und die Berliner Feministin Halina Bendkowski als Ministerin für Lebenskultur und allgemeine Emanzipation berufen. Als Wirtschaftsminister könnte ich mir ganz gut meinen Doktorvater Karl Georg Zinn vorstellen. Vielleicht hätte die Berliner Bündnisgrüne Sibyll Klotz Lust, Arbeitsministerin zu werden. Die brandenburgische Finanzministerin Wilma Simon ließe sich vielleicht ins bundesdeutsche Finanzressort locken.

Und was würden Sie tun, außer Pöstchen zu verteilen?

Zum Beispiel dem Parlament vorschlagen, sofort und auf der Stelle gleichsam prophylaktisch die Banken zu verstaatlichen. Aber das sollte nicht so bleiben, sondern wir würden dann eine Kommission einsetzen, die sich Gedanken darüber macht, wie wir diesen ganzen Sektor – einschließlich Deutscher Bundesbank – vernünftig reprivatisieren können, als demokratisch kontrollierten und dezentralen Non-Profit-Sektor, der die Aufgabe hat, den Geldkreislauf in Gang zu halten, das Geld dahin zu bringen, wo man es für vernünftige Zwecke braucht.

Blanker Marxismus!

Darum geht es nicht, sondern darum, ob dieser Vorschlag vernünftig ist. Es hat Ende der 80er Jahren in Westdeutschland eine ziemlich heftige Debatte über die Entmachtung der Banken gegeben – nicht nur in der taz, sondern auch im Handelsblatt. Als Bundeskanzlerin würde ich diese Debatte neu beleben und die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden an meinen Kamin bitten – die sitzen doch so gern am Kamin des Kanzlers. Ich würde mit ihnen beratschlagen, wie wir in der Volkswirtschaft etwas ähnliches machen können wie der VW-Konzern, das heißt: die Arbeitszeiten radikal verkürzen. In Wolfsburg hätte es erheblich mehr Arbeitslose gegeben, wenn die Arbeitszeit nicht auf durchschnittlich 28 Stunden in der Woche heruntergefahren worden wäre. Ich kenne alle Argumente, warum das bei VW geht, aber anderswo nicht. Diese Probleme ließen sich alle lösen, wenn die Bundesregierung, die sogenannten Arbeitgeber und auch die Gewerkschaften wollten.

Als Bundeskanzlerin würde ich übrigens auch noch Herrn Chirac und die anderen europäischen Staats- und Regierungschefs anrufen, um noch mal über Maastricht zu reden – damit die schöne Idee Europa gerettet und nicht weiter so verschandelt wird wie zur Zeit. Zudem würde ich den Gedanken einer alternativen Ökonomie, aus der auch die taz entstanden ist, wieder aufgreifen. Und dem Wort Wirtschaftsdemokratie wieder zur Bedeutung verhelfen – damit die Demokratie die Wirtschaft kontrolliert und nicht umgekehrt.

Ist das nicht alles Marke Asbach Uralt?

Mag sein, aber das, was zur Zeit in Bonn passiert, ist Marke Methusalem: der böse Geist von Adam Smith. Alternative Ökonomie und Wirtschaftsdemokratie sind jedoch jung geblieben, schon weil sie kaum Gelegenheit hatten, sich zu verbrauchen.

Außerdem würde ich den Besitzern des großen Geldes per Erbschaftsrecht an den Kragen gehen. Unter anderem dadurch gehen wir zurück in eine feudale Gesellschaft, wo Lebenschancen wieder per Geburt verliehen werden.

Sie meinen wegen der unglaublichen Massen an Reichtum, die derzeit vererbt werden?

Ja. In Teilen der Bevölkerung wächst ein unglaublicher Reichtum, andere Teile verarmen. Und sowohl Reichtum als auch Armut werden vererbt. Das ist ein Prozeß der kulturellen Regression.

Sie haben kürzlich bei einem Vortrag die Behauptung aufgestellt, wir würden vielleicht schon die Agonie des Patriarchats erleben. Die Frauen würden sich ihre Erwerbsneigung einfach nicht mehr austreiben lassen, und weil Erwerbsarbeit nun mal im Mittelpunkt unserer Industriekultur steht, gerät dadurch das ganze alte System ins Wanken.

Die Erwerbsneigung der Frauen ist nicht mehr zurückzudrehen. Sie wollen ihren eigenen Lebensunterhalt haben, sich beruflich entwickeln. Auch sind die ökonomischen und sozialen Grundlagen gar nicht mehr vorhanden, daß eine Frau sich ihr Leben lang auf ein Hausfrauendasein einrichten könnte. Das alles bringt die patriarchale Ökonomie und den ebenso patriarchalen Sozialstaat mehr ins Wackeln, als das deren Verwaltern bewußt ist. Zudem kippt die patriarchale Kultur immer mehr ins Wölfische um – im Sinne von Thomas Hobbes' Diktum: „Hominus homini lupus est“, der Mensch ist des Menschen Wolf. Bei Hobbes ging es in Wirklichkeit nur um den Mann. Und bei einigen Männern ziemlich weit oben schlägt das zur Zeit wieder durch. Wenn manundfrau das nicht stoppt, was sich unter dem harmlosen Etikett „Globalisierung“ anbahnt, dann ist das das Ende von Kultur überhaupt. Neulich las ich in einem US-Krimi den Satz: Manche Leute merken erst, was los ist, wenn Pepsi Cola einen Sitz in der UNO beantragt.

Das Sparpaket der Bundesregierung trifft die Frauen stärker als die Männer: Das Rentenalter für Frauen steigt, der Kündigungsschutz für Kleinbetriebe, in denen Frauen überproportional vertreten sind, fällt weg. Bei den Protesten der Gewerkschaften wurde das kaum formuliert. Ist das der alte proletarische Antifeminismus?

Der sitzt ziemlich tief. Das Problem der Gewerkschaften ist: Ihre Besitzstandswahrung ist gegenüber Arbeitgebern und Bundesregierung nachvollziehbar und richtig, gegenüber den Frauen aber ganz falsch. Gegenüber den Arbeitslosen und in mancherlei anderer Hinsicht ebenfalls.Man muß mal überlegen, wie die Autonomie der Frauen innerhalb der Gewerkschaften gestärkt werden kann.

Wie?

Es gibt anderswo, in Dänemark, Holland und den USA, autonome gewerkschaftliche Frauenorganisationen, und darüber muß manundfrau auch hier mal intensiver nachdenken. Die Zeiten, in denen Fraueninteressen als Sonderinteressen galten und Männerinteressen als allgemeine Interessen, sind jedenfalls endgültig vorbei.

Funktionieren diese Frauengewerkschaften? So etwas wird ja schnell belächelt.

Im Vergleich zur jetzigen Geringschätzung von gewerkschaftlicher Frauenarbeit ist eine Verschlechterung kaum mehr denkbar. Dabei gibt es eine Menge strategischer Fragen, wo der weibliche Blick zukunftsfähiger ist als der männliche. Die Diskussionen über Flexibilisierung der Arbeit, über Lohnpolitik, über Teilzeitarbeit sind in den Frauenausschüssen der Gewerkschaften viel früher geführt worden als in den männlichen Teilen der Gewerkschaften.

Mir scheint, die Krise des Sozialstaats ist als solche erst in der Diskussion, seit die traditionelle männliche Erwerbsbiographie – Vollzeitarbeit von der Ausbildung bis zur Rente – brüchig geworden ist. Für die Frauen ist diese Brüchigkeit längst Normalzustand. Stichworte: Kinderpausen, Flexibilisierung, Degradierung, Teilzeitarbeit, zeitweilige Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse.

Das galt nicht als Krise des Sozialstaats, weil der Sozialstaat eben auch ein patriarchalischer ist, oder vielleicht sollte man besser sagen: ein fraternalistischer. Denn es sind ja nicht die Väter, sondern die Brüder, die sich zur Sonne und zur Freiheit aufgemacht haben, auf Kosten der Schwestern, die derweil zu Hause die Kinder hüten sollten. Im Selbstverständnis dieses Sozialstaates werden Entwicklungen erst dann gefährlich, wenn das, was für Frauen normal war, auch auf Männer übergreift. Daraus ergibt sich die Chance, daß man jetzt über die Verfaßtheit dieses Sozialstaats diskutieren kann. Die Erwerbsbiographien von Männern sind für Frauen wenig attraktiv. Insofern sind die jetzigen Verunsicherungen eine Chance, zwei verkorkste Lebensweisen neu zu definieren.

In Ihrem Vortrag haben Sie den Ausspruch geprägt: „Die Angleichung der Lebensverhältnisse der Geschlechter werden zum Motor des Fortschritts.“ Wie dürfen wir das verstehen?

Wenn überhaupt noch über soziale Gerechtigkeit debattiert wird, dann immer auch im Hinblick auf die Geschlechterproblematik. Chancengleichheit ist keine Nebensache und kein Nebenwiderspruch mehr, sondern erstrangiges Zukunftsziel. Auch die jungen Männer geben zumindest Lippenbekenntnisse ab, emanzipiert leben zu wollen. Es gibt eine Menge Literatur über die Zukunft der Arbeit, wo die Frauenfrage unabhängig vom Geschlecht der Autoren eine zentrale Rolle spielt. Denn sie ist kein Problem einer Personengruppe, sondern ein Strukturproblem, das sich in der Art der Ökonomie und des Sozialstaats widerspiegelt. Wenn man dieses Strukturproblem nicht im Auge hat, kann man den Rest auch nicht begreifen. Dazu gibt es allerdings auch die zynische Variante, die auch vom sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf vertreten wird. Nach dem Motto: Wir müssen den Weibern ihre fatale Erwerbsneigung wieder austreiben, sonst kracht der ganze Laden zusammen.

Ist das die Feminisierung der Armut?

Diese Strategie wird bewußt betrieben. Die Arbeitsmarktentwicklung in den neuen Ländern ist eine Katastrophe. Trotzdem: Wir müssen weg vom Mythos „Es geht alles zu Lasten der Frauen.“ Die Frauen sind nicht mehr das Auffangbecken aller Risiken und Unsicherheiten der Welt. Wenn die Männer diese nicht in den Griff bekommen, kriegen sie sie selber ab.

Der Mann sei ein „auslaufendes Modell“, haben Sie in Ihrem Vortrag vertreten. Die Arbeitswelt ist aber nach wie vor männlich normiert – das geht vom obligatorischen Hosenanzug für Büro- Frauen über Arbeitszeiten bis zum Kommunikationsstil. Werden damit nicht eher die Frauen zum auslaufenden Modell?

Finde ich nicht. Was haben Sie gegen Hosenanzüge? Es gibt doch auch die umgekehrte Entwicklung, daß die jungen Männer sich schmücken und schön machen und sich überhaupt sehr sanft und menschlich gebärden. Auch wenn das noch nicht immer klappt: Es wird keine Rückkehr mehr geben zum klassischen Lebensmodell der Alleinernährerfamilie. Auch die Technik wird nicht mehr als Rettung der Menschheit empfunden, als große männliche Stärke, sondern eher als Risiko. Wenn die modernen Gesellschaften es nicht schaffen, sich von männlich dominierten Leitbildern zu lösen, wenn sie weiter auf industrielles Wachstum setzen, dann geht es immer tiefer in die ökologischen und sozialen Krisen. Als militante Optimistin hoffe ich jedoch, daß die Erosion tradierter Männlichkeit weitergeht. Wenn die modernen Gesellschaften ihre Probleme lösen wollen, dann müssen sie auch das Problem Mann lösen. Ich halte mich an den chinesischen Zirkusoptimismus: Möge die Übung gelingen.