Inselstreit mit Japan einigt die Chinesen

■ Ungewohnte Allianzen zwischen Peking, Taipeh, Hongkong und Macau

Berlin (taz) – Japanische Gebietsansprüche und die Kumpanei Tokios mit Rechtsradikalen haben unter Chinesen Sorgen vor japanischem Militarismus ausgelöst und politisch zerstrittene Lager geeint. Am Mittwoch, dem 65. Jahrestag der japanischen Besetzung der Mandschurei, warnten in der Volksrepublik, Taiwan, Hongkong und Macau Medien und Demonstranten einhellig vor japanischen Expansionsgelüsten. Anlaß ist der Streit um eine unbewohnte Inselgruppe im ostchinesischen Meer zwischen China, Taiwan und Japan. In der britischen Nochkolonie Hongkong kommt es deshalb seit zwei Wochen täglich zu Protesten.

Auch in Taiwan und dem portugiesischen Macau wird fast täglich demonstriert. Seit kurzem wird auch zum Boykott japanischer Produkte aufgerufen. In Taiwan beschloß das Provinzparlament, keine öffentlichen Aufträge mehr an japanische Firmen zu vergeben. In Hongkong und Macau organisierten Lehrer Sonderunterricht über „japanischen Militarismus und Expansionismus“. Die Regierung in Peking hielt sich bisher zurück.

Demgegenüber überschlägt sich die Hongkonger Bevölkerung geradezu in Nationalismus. Führend sind ausgerechnet diejenigen, denen Peking immer einen Mangel an Patriotismus vorwarf. „Wir haben gesehen, wie die chinesische Regierung den Nationalismus ins Feld führte, als die Bevölkerung Hongkongs mehr Demokratie wollte und als Raketen in Richtung Taiwan abgeschossen wurden. Jetzt wollen wir, daß China sein Territorium verteidigt und Japan drängt, die Inseln in Ruhe zu lassen“, sagte Martin Lee, Führer der Demokratischen Partei.

Der Konflikt um die fünf Inseln und drei Riffe, die von den Chinesen Diaoyu- und von den Japanern Senkaku-Inseln genannt werden, brach Ende Juli aus. Eine rechtsradikale japanische Organisation hatte auf einer der Inseln einen Leuchtturm und ein Kriegsdenkmal errichtet und damit die Proteste ausgelöst. Bisher nutzten Fischer das Gebiet um die Inseln, in dem auch große Ölvorkommen vermutet werden.

Eine für Anfang August geplante Protestfahrt 200 taiwanesischer Kutter verhinderte ein Taifun, der auch den Leuchtturm beschädigte. Seitdem hielt die japanische Küstenwache Schiffe aus Taiwan und Hongkong von den Inseln fern, während die japanischen Rechten unbehelligt den Turm reparieren konnten. Japans Ministerpräsident Ryutaro Hashimoto erklärte, die Inseln gehörten eindeutig zu Japan. Hashimoto, der für Ende Oktober Wahlen ankündigte, schielt auf die Stimmen der japanischen Rechten.

Tokios Kumpanei löste unter Chinesen einen Proteststurm und antijapanische Emotionen aus. Bis heute denken viele mit Verbitterung an das während der japanischen Besatzungszeit zugefügte Leid. Die Chinesen sehen die Inseln seit Jahrhunderten als ihr Territorium an. Japans Anspruch geht auf den japanisch-chinesischen Krieg zurück, als Taiwan 1895 zur japanischen Kolonie wurde. Nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg ging Taiwan wieder an China, die Inseln kamen aber mit Okinawa unter US-Verwaltung. Washington gab Okinawa und die Inseln 1972 an Tokio zurück.

Die seit 1949 verfeindeten Regierungen in Taipeh und Peking fühlen sich sichtlich unwohl, in diesem Konflikt am gleichen Strang zu ziehen. Bei beiden dominiert Pragmatismus, sie wollen aber verhindern, daß die andere Seite aus dem Konflikt mit Tokio Gewinn zieht. Taipeh will den Streit allein regeln, um Pekings Ansprüche auf Taiwan nicht zu nähren und damit die Volksrepublik sich nicht als Beschützerin gesamtchinesischer Interessen profilieren kann. Verhandlungen sind rechtlich schwierig, da zwischen Japan und Taiwan keine diplomatischen Beziehungen bestehen. Für Peking kommt aus wirtschaftlichen Gründen eine militärische Option nicht in Frage, die auch das Risiko einer Niederlage birgt. Dafür bietet sich Gelegenheit zu zeigen, daß Japan eine größere Bedrohung für den Frieden in Asien ist als China. Sven Hansen