■ In Bonn beraten heute die Innenminister der Länder über die Zukunft von 320.000 Menschen. Der 1. Oktober als Rückführungstermin für bosnische Flüchtlinge hat inzwischen zwar eher Symbolwert. Doch das nützt ihnen nicht viel.
: Langsames Losw

In Bonn beraten heute die Innenminister der Länder über die Zukunft von 320.000 Menschen. Der 1. Oktober als Rückführungstermin für bosnische Flüchtlinge hat inzwischen zwar eher Symbolwert. Doch das nützt ihnen nicht viel.

Langsames Loswerden

Vorbei die Zeiten, wo man ihr Schicksal mit Krieg und Vertreibung, Hunger und Greuel verband. Die 320.000 Menschen sind längst auf ein neues Begriffspaar reduziert: bosnische Kriegsflüchtlinge und deutsches Geld. Und bei Geld hört bekanntlich jede (Gast-)Freundschaft auf. Das befand auch Helmut Kohl letzte Woche und verortete das Thema „Kriegsflüchtlinge aus Bosnien- Herzegowina“ stammtischwirksam in der Haushaltsdebatte. Die Leute, entschied der Kanzler in der Generalaussprache über den Bundesetat, hätten genug Geld gekostet. Sie müßten so schnell wie möglich in die Heimat zurück.

Wenn die Innenminister von Bund und Ländern heute über die Zukunft der Kriegsflüchtlinge beraten, werden sie mehrheitlich kaum gegen dieses Machtwort opponieren. Zu sehr haben sich Innenminister Manfred Kanther (CDU) und einige seiner Länderkollegen – auch gestern noch einmal – öffentlich auf ein Datum festgelegt: Am 1. Oktober soll mit der Rückführung nach Bosnien-Herzegowina begonnen werden. An diesem Termin werden auch die sozialdemokratischen Innenminister von Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Hessen und Nordrhein-Westfalen kaum rütteln können, die frühestens im April 1997 mit einer zwangsweisen „Rückführung“ beginnen wollen.

Doch der Stichtag 1. Oktober, das ist auch seinen Befürwortern klar, ist eher ein symbolisches Datum. Selbst wenn die Innenminister diesen Rückkehrtermin einstimmig beschlössen – eine erzwungene Heimreisewelle oder Massenabschiebungen sind in diesem Winter nicht zu erwarten. Zu katastrophal sind die Bedingungen für die Rückkehrer, zu unsicher und unerreichbar die meisten ihrer Heimatorte, das ist selbst den erklärten Hardlinern klar. Ein Großteil der Betroffenen würde sich zudem mit allen rechtlichen Mitteln – und einigem Erfolg – gegen die erzwungene Ausreise wehren. Auch damit wäre für mehrere Monate weiterer Schutz gewonnen.

Die Innenminister werden deshalb heute weniger über das Wann als über das Wie einer Rückkehr verhandeln müssen. Dabei zeichnet sich ab, daß sie von ihrem im Januar beschlossenen Stufenplan abrücken werden, der eine zeitlich gestaffelte Rückführung nach dem Familienstand der Flüchtlinge festschrieb. Denkbar ist jetzt, daß die Innenminister nach regionaler Herkunft differenzieren: Wer aus „sicheren“ Gebieten kommt, wird zuerst gehen müssen. Schon vorab hat sich deshalb gestern das UN- Flüchtlingskommissariat (UNHCR) dagegegen verwahrt, für diese Art der erzwungenen Rückkehr als Kronzeuge instrumentalisiert zu werden. Auf eine UNHCR-Liste von 22 Ortschaften, in denen Aufbauprojekte denkbar wären, könnten sich die Innenminister nämlich berufen, wenn sie einen Rückkehrplan nach Regionen verabschieden. Diese Liste, so warnte das UNHCR gestern, sei jedoch „keinesfalls eine Aufstellung sicherer Gebiete“.

Doch auch wenn sich die Innenminister auf einen Stichtag mit bloßer Symbolkraft ohne konkreten Abschiebungstermin einigen, wird das für die Kriegsflüchtlinge drastische Folgen haben: Ein solches Datum könnte abrupt ihren ausländerrechtlichen Status verändern. Ausländerbehörden der Kommunen könnten per ministerieller Weisung oder auch in eigener Regie die Duldungen der Flüchtlinge auslaufen lassen und ihnen – auch wenn die Drohung faktisch nicht durchsetzbar ist – eine Ausreiseaufforderung in den Paß stempeln. Mit einer solchen Auflage verlieren die Betroffenen in der Regel ihre Arbeitserlaubnis und ihre Berufsausbildung (siehe unten). Selbst wenn sie noch weit bis ins nächste Jahr in Deutschland bleiben können, haben sie keine Chance mehr, für die noch verbleibende Zeit eine menschenwürdige Unterkunft oder einen Job zu finden. Auf Monate hinaus werden sie damit in einen materiell und psychisch belastenden, unsinnigen Wartestand geschickt.

Gleichzeitig werden die Sozialbehörden der Länder einen Stichtag dazu nutzen, die Kriegsflüchtlinge zu „ausreisepflichtigen Ausländern“ umzudefinieren und ihnen so die Sozialhilfe zu kürzen. Die Berliner Zeitung berichtete gestern bereits, die Länder hätten sich schon im Vorfeld ihrer heutigen Konferenz darauf verständigt, ab 1. Oktober das umstrittene Asylbewerberleistungsgesetz mit seiner drastischen Sozialhilfeabsenkung auch auf die bosnischen Flüchtlinge anzuwenden. Und interne Behördenpläne in Berlin sehen sogar vor, ausreisepflichtige Kriegsflüchtlinge, die bisher eine eigene Wohnung hatten, zur Vorbereitung ihrer Abschiebung in Heime einzuweisen. Vera Gaserow, Berlin