„Bei Vertragsbruch gilt keine Friedenspflicht“

■ Gerhard Zambelli, Bezirksleiter der IG Metall für Baden-Württemberg, über Möglichkeiten, gegen gekürzten Lohn zu klagen, sowie den Kurs seiner Gewerkschaft

taz: Herr Zambelli, die Metallarbeitgeber haben ihren Firmen empfohlen, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ab dem 1. Oktober auf 80 Prozent zu kürzen – trotz der 100-Prozent-Zusicherung im Manteltarifvertrag. Wie reagiert die IG Metall?

Gerhard Zambelli: Wir werden so reagieren, wie sich das bei einem Vertragsbruch gehört. Zunächst einmal werden wir unsere Mitglieder in den Betrieben über den Vertragsbruch informieren und individuelle wie kollektive Reaktionsmöglichkeiten aufzeigen. Eins ist klar: Es wird in den Betrieben, in denen die Arbeitgeber diesem verhängnisvollen Kurs folgen, mit Sicherheit in den nächsten Monaten eine heiße Entwicklung geben.

Besteht auf dem juristischen Weg nur ein individuelles Klagerecht, oder könnte die IG Metall auch kollektiv die Ansprüche vor Gericht durchsetzen?

Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand muß wahrscheinlich jeder einzelne den Klageweg beschreiten. Dazu werden wir auch alle ermuntern. Aber das ist natürlich keine Lösung, denn dann würde man unter Umständen erst in vier Jahren Recht bekommen. Wir können das in den Betrieben nicht auf die Juristerei schieben, sondern wir müssen deutlich machen, daß dieser Vertragsbruch einer politischen Linie folgt, und darauf muß es eine politische Antwort geben.

Auch mit Streiks?

Wer durch Vertragsbruch die Friedenspflicht verletzt, der darf sich nicht wundern, wenn wir darauf in gleicher Weise reagieren. Sollten die Unternehmen die Ankündigung wahr machen, dann besteht die aus dem Manteltarifvertrag herrührende Friedenspflicht, zu der sich beide Tarifparteien durch ihre Unterschrift bekannt haben, auch für uns nicht mehr. Ich glaube, daß wir auf diesem Weg weiterdenken werden.

Die Arbeitgeber behaupten, daß sich die Ansprüche aus dem Tarifvertrag durch die Bonner Gesetzesänderung erledigt hätten.

Das ist nichts weiter als der untaugliche Versuch der Arbeitgeber, für ihren Vertragsbruch eine Begründung nachzuschieben, um öffentlich nicht eingestehen zu müssen, daß sie Vertragsbrecher sind. Juristisch sind wir auf der sicheren Seite, denn der Manteltarifvertrag gilt bis Ende 1998.

Ihr Kontrahent in Baden-Württemberg, Dieter Hundt, geht davon aus, daß alle Firmen im Ländle den Verbandsempfehlungen folgen werden.

Herr Hundt hat sich schon häufig getäuscht. Diesmal irrt er ganz gewaltig. Ich bin sicher, daß viele Firmen das riskante Spiel nicht mitmachen werden, weil sie wissen, was dann in ihrem Betrieb los sein würde.

Die Arbeitgeber wollen jetzt auch die Ende des Jahres auslaufenden Tarifverträge zum Urlaubs- und Weihnachtsgeld kündigen. Überrascht?

Nein, denn das hatten sie längst angekündigt. Diesen Verhandlungen sehe ich mit einer gewissen Gelassenheit entgegen. Das hat eine ganz andere Qualität, weil es sich hier nicht um einen Vertragsbruch, sondern um eine zulässige Kündigung handelt.

Der Protest in den niedersächsischen Wahlkabinen war mager. Sehen sie Chancen für andere politische Mehrheiten in diesem Land?

Von der Niedersachsen-Wahl kann man nicht auf die Stimmung in ganz Deutschland schließen. Ich bin sicher, daß wir gegen den Bonner Kurs bis zur Bundestagswahl noch einiges in Bewegung setzen können, um eine Regierung zu bekommen, die mit der schamlosen Klientelpolitik zu Lasten der kleinen Leute Schluß macht. Interview: Walter Jakobs