Ab heute klärt das Landgericht Lübeck, wer im Januar 1996 den Brandanschlag auf das Asylbewerberheim verübt hat. Angeklagt ist Safwan Eid. Für die Staatsanwaltschaft ist die Schuldfrage längst geklärt: Sie konzentrierte ihre Ermittlungen fa

Ab heute klärt das Landgericht Lübeck, wer im Januar 1996 den Brandanschlag auf das Asylbewerberheim verübt hat. Angeklagt ist Safwan Eid. Für die Staatsanwaltschaft ist die Schuldfrage längst geklärt: Sie konzentrierte ihre Ermittlungen fast fahrlässig auf den jungen Libanesen. Weitere Spuren wurden ignoriert, mögliche andere Tatverdächtige blieben unbehelligt.

Wer's war, ist eine Glaubensfrage

Es gibt Prozesse, die werden geführt, lange bevor sie in den Gerichtssaal kommen. Seit acht Monaten verhandelt die Öffentlichkeit, wer den Brand in der Lübecker Hafenstraße gelegt hat. Alle Seiten – die Staatanwaltschaft, die Verteidigung, die Medien – haben Argumente zugefüttert, um das Publikum auf ihre jeweilige Sicht einzuschwören. Wer war der Täter? Der junge Libanese Safwan Eid? Die vier rechten Jungmänner aus Grevesmühlen oder bisher Unbekannte? Die Antwort darauf ist zur Glaubensfrage geworden.

Tatsächlich beginnt der Prozeß erst am heutigen Montag. Ab heute will eine Jugendkammer des Lübecker Landgerichts klären, wer am 18. Januar den Anschlag auf das Asylbewerberheim in der Hafenstraße verübt hat. Wer für den Tod von zehn Menschen verantwortlich ist, die erstickten, verkohlten oder sich zu Tode stürzten. Wer zur Rechenschaft gezogen werden kann für die physischen und psychischen Verletzungen von 38 weiteren Menschen, darunter viele Kinder. Es wird einer der spektakulärsten Prozesse der letzten Jahre. Mit rund 60 Zeugen, einem Heer von Sachverständigen und einem riesigen Pulk deutscher und internationaler Pressevertreter und Prozeßbeobachter.

Die Opfer glauben an die Unschuld des Libanesen

Zunächst sind neun Verhandlungstage angesetzt. Doch niemand geht ernsthaft davon aus, daß das Verfahren so schnell beendet sein wird – auch wenn aus Lübecker Justizkreisen verlautet, daß die drei Richter und zwei Schöffen ein forsches Tempo vorlegen wollen.

Auf der Anklagebank sitzt Safwan Eid. Die Staatsanwaltschaft hält ihn für schuldig und wirft ihm besonders schwere Brandstiftung und fahrlässige Körperverletzung vor. Als Motiv vermutet sie Rache und Querelen im Flüchtlingsheim – denn Eid und seine Familie wohnten selbst in dem angezündeten Haus. Safwan Eid bestreitet das Verbrechen. Es wird ein Indizienprozeß, bei dem die Ankläger schlechte Karten haben. Die Beweislage ist dürftig, die Gutachter widersprechen sich, und bei den Zeugenaussagen gibt es jede Menge Unstimmigkeiten.

Die Opfer aus der Hafenstraße, Flüchtlinge aus Schwarzafrika und dem Nahen Osten, werden im Prozeß als Nebenkläger auftreten. Allerdings nicht – wie normalerweise in so einem Fall üblich –, um die Ankläger zu unterstützen. Die ehemaligen Mitbewohner Safwan Eids glauben an seine Unschuld.

Sollte der Libanese dennoch verurteilt werden, wird das Strafmaß davon abhängen, wie alt er zur Tatzeit war. Für einen Jugendlichen beträgt die Höchststrafe zehn Jahre. Gilt Eid aber als erwachsen, kann er lebenslange Haft bekommen. Sawfan Eid hat seiner Anwältin Papiere aus dem Libanon vorgelegt, nach denen er am 10. November 1975 geboren wurde. Damit wäre er zur Tatzeit unter 21 Jahre alt gewesen, und die Strafe würde nach dem Jugendstrafrecht bemessen. Unterlagen des Bundeskriminalamts, ebenfalls aus dem Libanon herangeschafft, sprechen dagegen vom 1. Januar 1975 als Geburtsdatum. Welche Version glaubhaft ist, muß das Gericht klären.

Die Anklage gegen Eid steht und fällt mit der Frage, wo der Brand ausgebrochen ist. War es im ersten Stock des Hauses vor einer Wohnungstür – wie die Gutachter vom Landes- und Bundeskriminalamt behaupten –, kam der Täter wahrscheinlich von innen. War es im ebenerdigen Vorbau des Heims – wie ein Gegengutachter, den das Gericht bestellt hat, sagt –, spricht alles für einen Anschlag von außen.

Für die Staatsanwaltschaft ist die Schuldfrage eigentlich schon lange geklärt. Seit sie Safwan Eid am 20. Januar festnahm, konzentrierte sie ihre Ermittlungen geradezu fahrlässig auf den Libanesen. Sie schlampte bei der weiteren Fahndung, ignorierte Spuren und ließ so mögliche andere Tatverdächtige ungeschoren. Vor allem vier junge Männer aus Grevesmühlen, die kurzzeitig der Mordbrennerei verdächtigt wurden. Ausermittelt wurde der Verdacht gegen sie bis heute nicht. Im Gegenteil: Die Liste der verheerenden Pannen und lächerlichen Pleiten bei dieser Untersuchung hat den Ruf der Ankläger nachhaltig demoliert.

Noch keine Staatsanwaltschaft dieser Republik hat sich im Vorfeld eines Prozesses so aus dem Fenster gehängt wie die Ermittler aus Lübeck. Statt sachlich zu informieren, betrieben sie massive Propaganda – soweit es dem Schuldvorwurf gegen Safwan Eid diente. Nur mit einem Vorabgutachten gerüstet, verkündeten sie der Öffentlichkeit bereits zweifelsfrei die These vom Anschlag aus dem Hausinneren. Obwohl es objektiv nicht den Tatsachen entsprach, teilten sie bei der Verhaftung Eids mit, er habe „Täterwissen“ offenbart.

Auch die Verteidigung betreibt massive PR

Weder ihre Annahme über das Motiv Eids bestätigte sich noch die über den Brandverlauf – aber sie sorgten dafür, daß der Libanese wegen „dringenden Tatverdachts“ ein halbes Jahr in Untersuchungshaft blieb. Und als das Jugendgericht im Juli den Haftbefehl aufhob, doch trotzdem Anklage erhob, rühmten sich die Staatsvertreter am 5. Juli öffentlich ihres Erfolgs, als ginge es um ihr Image statt um die Suche nach Wahrheit.

Wer nicht an „rassistische Ermittlungen“ glaubt, spricht von Überforderung und dadurch bedingter Verbohrtheit. Erstaunlich wäre das nicht. Zehn Menschen sind umgekommen, doch die Lübecker Staatsanwaltschaft ließ einen einzigen Mann, den 40jährigen Michael Böckenhauer, die ganze Arbeit machen – in Fällen dieser Dimension ziemlich ungewöhnlich. Sein Kollege, Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz, stand ihm fast nur bei der Pressearbeit zur Seite.

Massive PR betreibt indes auch die Verteidigung von Safwan Eid. Die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke betont die politische Dimension des Prozesses; sie hat eine unabhängige Untersuchungskommission ins Leben gerufen, arbeitet eng mit antirassistischen Initiativen zusammen und munitioniert handverlesene Pressevertreter mit Material. Dies läßt sich, im Gegensatz zum Verhalten der Staatsanwaltschaft, unter der Rubrik „besonderes Engagement“ verbuchen. Ob es mit Wahrheitsfindung zu tun hat, soll der Prozeß zeigen. Bascha Mika