Restitalien als Billiglohnland

Sezessionisten der Liga bauen ihre Taktik auf Wirtschaftsdaten auf: Das nördliche Drittel der Bevölkerung zahlt die Hälfte der Steuern  ■ Aus Mailand Werner Raith

Wenn der Mailänder Kleiderfabrikant Carlo Magnano, 46, von seinem Urlaub zurückkommt, hat er für seine Freunde immer dasselbe Lied bereit: „Wieder nix geändert. Ein Saustall, und das mit unserem Geld.“ In Paestum, der Tempelstadt bei Salerno südlich von Neapel, hat er auch heuer wieder „noch mehr Löcher in den Straßen, noch weniger funkionierende Dienstleistungen, noch mehr Kriminalität“ gefunden. Und das, obwohl Carlo Magnano nach eigenen Angaben stets „alle, ausnahmslos alle Steuern pünktlich bezahlt“.

Deshalb möchte Carlo auch so bald wie möglich bei der Fahrt in den Urlaub mindestens eine Staatsgrenze durchqueren – die von der „Freien Republik der Poebene“ in eine wie immer auch genannte „römische“ oder „neapolitanische oder „meinetwegen auch maghrebinische Republik“. Dort sollen sich die Blutsauger „selber ihren Saft absaugen – unser Geld aber bleibt bei uns.“

Nicht wenige denken wie Carlo; allerdings auch wiederum nicht so viele, wie sich der Führer der Unabhängigkeitsbewegung „Liga Nord“, Umberto Bossi, gerne einbildet: Für eine totale Abspaltung von Rom votiert selbst in den „Kernländern“ der Liga-Bewegung, Lombardei und Veneto, nicht mal ein Siebtel der Bevölkerung – für einen starken Föderalismus dagegen mehr als die Hälfte. Allerdings nehmen die Separatisten deutlich zu.

Beide Richtungen untermauern ihre Rom-Abneigung mit denselben Zahlen und Beobachtungen: Mehr als die Hälfte der steuerlichen Einkünfte bezieht der italienische Staat aus dem Norden (wo aber nur ein Drittel der Bevölkerung lebt); einige der Regionen wie das Veneto gehören zu den reichsten Europas. Doch zurück fließt an Sozial- und Dienstleistungen nicht einmal ein Viertel.

An die sechzig Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden im Norden geschaffen – im Süden nicht einmal ein Fünftel, der Rest kommt aus dem Zentrum, ist dort aber „faktisch nur Administration und Distribution, keine wirkliche Produktion“, wie Carlos Nachbar weiß, ein Wirtschaftsprofessor an der Bocconi-Universität Mailand.

Den Einwand mangelnder Solidarität mit dem armen Süden läßt er nicht gelten – „wenn man arm und reich als Gesamteigentum aller Bürger nimmt, ist der Süden kaum weniger begütert als der Norden, nur ist dort das Kapital vorwiegend mafios oder camorristisch“. Folgen verfehlter Politik aus Rom – und „daran sind doch nicht wir schuld“.

Daher die Idee der Liga, direkt und ohne Rom mit Brüssel zu verhandeln, eine eigene Währung einzuführen und die mit dem Euro zu koppeln. Der Rest Italiens soll mit der wackligen Lira versuchen, als eine Art europäisches Drittweltland Billigprodukte herzustellen. Natürlich haben Volkswirtschaftler derlei längst als Schnapsidee demaskiert – wird Restitalien Billigland, weichen die großen Unternehmen, die bisher den Wohlstand des Nordens produzieren, dorthin aus. Arbeitssuchende gäbe es im Süden genug. Dort ist die Arbeitslosigkeit statistisch dreimal so hoch wie im Norden.

„Das Unerträgliche ist“, sagt Liga-Gegner Nando Dalla Chiesa, Soziologe an der Bocconi-Universität, „daß die Liga mit vielen ihrer Analysen recht hat; nur die Konsequenzen sind völlig falsch und gefährlich, wirtschaftlich und politisch – für ganz Europa.“

Auch Kleiderfabrikant Magnano ist klar, daß die Unabhängigkeit nicht alles löst. Nur gilt für ihn: „Schlimmer als bisher kann's doch nicht mehr werden“. Ein wenig unsicher wird er, wenn man ihn, zur Verdeutlichung, wie schlecht es ihm geht, nach seinem Umsatz und seinem Verdienst fragt. Das sei Betriebsgeheimnis, murrt er. Obwohl er nach wie vor betont, alle Steuern korrekt abzuführen.