Liebste Freundin Angst

Martin Amis' schreiend komischer Roman über Ambitionen und Intrigen zweier Schriftsteller: „Information“  ■ Von Jörg Lau

Das Problem mit der apokalyptischen Mentalität ist nicht etwa, daß es nicht genügend Indizien für die Plausibilität ihrer Annahmen über die Welt gäbe. Ganz im Gegenteil fügen sich dem Apokalyptiker alle möglichen Informationen ganz zwanglos zu seinem plausiblen Bild eines baldigen, verdienten Untergangs – von den müden Spermien bis zur stets zunehmenden Jugendgewalt. Darin liegt vielleicht die letzte verbliebene unschuldige Möglichkeit, das Ganze zu denken und sich ihm verbunden zu wissen. Eine sorgsam beobachtete Allergie kann dich heute ebenso zuverlässig mit dem Herzen der Geschichte verbinden (Verbrennung, Vergiftung, Entropie), wie seinerzeit das Klassenbewußtsein deine Eltern an die kommunistische Weltbewegung ankoppelte.

Das Problem mit solchen Ganzheitserlebnissen ist, daß der Preis (beziehungsweise die Belohnung) eine weitgehende Abschottung gegen mögliche Irritationen ist: Woraus sich erklärt, daß Vollzeit- Apokalyptiker in der Regel humorlose Nervensägen sind – und mit wenigen Ausnahmen schlechte Dichter. Ich wäre jederzeit bereit, Ihnen das aus meiner Sammlung unverlangt eingesandter Manuskripte zu belegen – falls die Abonnentenzahlen dieser Zeitung sich weiter stabilisieren sollten.

Hier geht es um eine Ausnahme: Martin Amis ist einer der notorischsten Schwarzseher der englischsprachigen Literatur und zählt zugleich zu den intelligentesten, ästhetisch gewitztesten und komischsten Autoren seiner Generation (der mittleren, Amis ist 47). Sein neuer Roman, „Information“, ist von strahlender Hoffnungslosigkeit: Die Städte sind menschenfeindliche Maschinen, das Geschlechterverhältnis ist zerrüttet, die literarische Welt wird von Haß und Eitelkeit angetrieben, Raucher werden wie Parias behandelt, das Universum dehnt sich aus, und Richard Tull, der vierzigjährige Held der Geschichte, leidet unter rätselhaften Impotenzattacken, nicht immer zwar, aber doch immer öfter.

Allerdings scheint dieses lästige Leiden bei Richard psychosomatischer Natur, wie sich herausstellt, als Richard mit seinem kleinen Sohn Marco auf dem Sofa liegt: „Wie es recht häufig vorkam, hatte der Kontakt mit Marco im Pyjama (mit seinen unschuldig seidigen Windungen) Richard eine Erektion verschafft. Dies hatte ihn früher beunruhigt und war ihm als etwas erschienen, worüber er besser den Mund halten sollte... Er fragte bei den Daddys herum und stellte fest, es war ganz allgemein – es war universell. Es erschien ihm allerdings immer noch als eine wesentlich perverse Sache. Wenn man an all die anderen Gelegenheiten dachte, die nach einem Steifen schrien, der sich dann niemals einstellte. Und hier brauchte man nicht nur keinen. Man schätzte ihn nicht einmal.“

Martin Amis rechnet mit Lesern, die gegen den neuen Puritanismus der pädadgogischen Schauerromantik in der Lage sind, eine solche Stelle ohne Moderation durch den Autor als vertracktes Glückserlebnis zu lesen. Es sind solche riskanten Manöver, die Amis zum bestgehaßten Mann des englischen Literaturbetriebs gemacht haben, zumal das Publikum ihm mit nennenswerten Verkaufszahlen zu danken weiß, daß er ihm etwas zutraut.

Für „Information“ hat er sich nun auch noch den Literaturbetrieb als Schauplatz erwählt. Die beiden Protagonisten, Richard Tull und Gwyn Barry, sind beide Schriftsteller, wenn auch in unterschiedlichen Genres und – entscheidender – mit kraß unterschiedlichem Erfolg. Dabei kennen sich beide seit ihren gemeinsamen Studientagen in Oxford. Während Richard sich nun aber mit einem weiteren experimentellen Roman plagt – „Ohne Titel“ soll das große Werk schlicht heißen –, landet Gwyn einen Hit: Seine Utopie „Amelior“ schafft es auf die Bestsellerliste. Das wäre in jedem Fall schwer hinzunehmen. „Amelior“ allerdings ist zu allem Überfluß ein Stück kalkulierten Zeitgeistschrotts über eine multikulturell paritätisch besetzte Gruppe von jungen Leuten (sie heißen Gupta, Jung-Xiao, Eagle Woman, Abdelrazak, Solomon und Yukio), die sich aufs Land zurückzieht, um eine Kommune zu gründen – und dies auch schafft.

Man hämmert, man hobelt, man schleift

Nicht genug damit, daß dieser eskapistische Kitsch überhaupt gedruckt wird, was man von Richards Romanversuchen nicht durchweg behaupten kann. Durch „Amelior“ wird Gwyn Barry eine gefragte literarisch-moralische Kapazität von Wickertschem Format, bei der sich die Fernsehteams die Klinke in die Hand geben. So muß Richard zusehen, wie Gwyn im Interview das Schreiben mit dem Schreinern vergleicht: „Man hämmert, man hobelt, man geht mit dem Sandpapier drüber, bis alles glatt ist und alles exakt zusammenpaßt. Vor allem muß die Konstruktion funktionieren. Es muß ehrlich sein.“ Als Richard ihn dann zu Hause besucht, stellt sich heraus, daß Gwyn sich tatsächlich eine Schreinerwerkstatt eingerichtet hat. Er hat sogar einen Stuhl gekauft und ihn so lange mit dem Stecheisen traktiert, bis er wie selbstgemacht aussieht – für den Fall, daß das nächste Fernsehteam auf die Schreiner-Metapher zurückkommen möchte.

Das reicht. Richard, der sich mit Buchkritiken (meist Schriftstellerbiographien) über Wasser hält, beschließt, daß es nicht reicht, die Literatur nur verschieden zu interpretieren. Es kommt darauf an, sie zu verändern: Er wird seinen Kumpel fertigmachen. Aber wie mit Richards Romanen verhält es sich auch mit diesem Unternehmen praktischer Literaturkritik: Es schlägt gegen seinen Urheber aus. Die Folge ist eine Kette von Demütigungen, die am Ende zu einer unerwarteten Läuterung führen.

Es ist nämlich alles andere als leicht, jemanden wie Gwyn zu verletzen, der im Schutze seiner Dummheit auf Erden wandelt. Richard schickt ihm anonym ein Exemplar der ziegelsteindicken Wochenendausgabe der L.A.Times, versehen mit dem Hinweis, darin finde sich etwas, das den Erfolgsautor interessieren könnte. Irrigerweise nimmt er an, daß Gwyns Ruhm noch nicht ins Interkontinentale ausgreift. Schließlich ist es nicht wie beabsichtigt jener, der Tage darüber verbringt, verzweifelt die Seiten nach einer Erwähnung von Gwyn Barry durchzukämmen, sondern Richard selber. Gwyn hat recht schnell eine in der Tat schmeichelhafte Notiz über sich gefunden, und Richard kann natürlich nicht eher ruhen, bis auch er sie gelesen hat.

Ob er Schläger engagiert oder sich an Gwyns Frau heranschmeißt, die Sache geht stets nach hinten los. Martin Amis schickt seinen heruntergekommenen Candide des „schwierigen Schreibens“ durch eine Kette von Erniedrigungen, die zu schreiend komischen Situationen führen. Das Buch könnte alleine damit bestehen. Großartig ist etwa die Schilderung des Verlages „Tantalus Press“ – einer von der Sorte, die „Autoren suchen“ –, in dem Richard seine Brötchen damit verdient, Lyriker wie Keith Horridge zum Selbstkostenpreis gleich ins Vergessen hinein zu verlegen: „Taktile Gischt, das Sediment / der Zeit. Stasis das Epitaph – / Syzygie des Sands.“

Aber Amis hat noch mehr zu bieten. Das eigentliche Thema von „Information“ läßt sich treffend mit einem berühmten Songtitel von John Cale kennzeichnen: „Fear's a man's best friend.“ Der Titel bezieht sich unter anderem auf die „Information, die nachts kommt“ und den Helden am Schlafen hindert. Dies ist auch ein Buch für Sie, liebe Damen, die immer schon gern wissen wollten, was Ihre mittelalten Herren so blaß und erschreckt dreinschauen läßt, wenn Sie ihnen nachts um drei Uhr am Kühlschrank begegnen, diese schlaflosen „Schmierenkomödianten der Coolness“.

So viel zum Gebrauchswert. Man muß einen Schritt zurücktreten, um den eigentlichen Triumph zu sehen, einen rätselhaften Triumph des Schreibens. Martin Amis hat aus lauter Haß, Ressentiment, Angst und Enttäuschung ein reines Vergnügen bereitet.

Martin Amis: „Information“. Aus dem Englischen von Joachim Kalka. S. Fischer, 576 S., 48 DM