Labours Angst vor dem Prol-Image

■ Die britische Labour Party geht auf Distanz zu den Gewerkschaften. Selbst Streikrecht ist nicht mehr heilig

Dublin (taz) – Eine Rede hat er vorsichtshalber nicht gehalten: Labour-Chef Tony Blair ist bei den britischen Gewerkschaften zur Zeit nicht besonders beliebt; so beschränkte er sich gestern bei seinem Abstecher zum Kongreß des britischen Gewerkschaftsdachverbandes TUC in Blackpool auf Gespräche hinter den Kulissen.

Auf dem Podium wäre er zweifellos ausgebuht worden. Die Gewerkschafter mißtrauen ihm zutiefst, seit Blair nun auch dem Streikrecht an den Kragen will. So sollen die Gewerkschaften während eines Streiks jedesmal eine neue Urabstimmung durchführen müssen, wenn die Arbeitgeber ein „bedeutendes Angebot“ machen. Die Postgewerkschaft soll gleich den Anfang machen, wünscht sich Blair. Sie soll über ihren seit Wochen dauernden Streik abstimmen lassen, nachdem die Royal Mail ein neues Angebot gemacht hat.

David Blunkett, Arbeitsminister im Labour-Schattenkabinett, will außerdem bei Arbeitskämpfen künftig mehr auf Verhandlungen setzen und die Rolle des Schlichters stärken. Aus den Vorschlägen der Labour-Chefetage spricht die nackte Angst. Ein Termin für die Parlamentswahlen, die spätestens bis Mai über die Bühne gebracht werden müssen, steht zwar noch nicht fest, doch der Wahlkampf hat längst begonnen.

Die Tories setzen auf dieselben Themen wie schon 1992: Wer Labour wähle, so heißt es bei ihnen, stimme für die Gewerkschaftsmacht und stürze das Land ins wirtschaftliche Chaos. Die Tories selbst machen nur vage Andeutungen, was diesen Punkt betrifft. „Wir erwägen eine Reihe von Maßnahmen in bezug auf Streiks im öffentlichen Dienst und bei Monopolunternehmen“, sagte Premierminister John Major am Montag. „Der Grund liegt auf der Hand: Ein Streik gegen die Öffentlichkeit, die Steuern zahlt, von denen der öffentliche Sektor bezahlt wird, scheint mir nicht mehr zeitgemäß.“ Der einzige konkrete Vorschlag ist bisher die Verlängerung der „Abkühlungsperiode“ zwischen Zusammenbruch der Verhandlungen und Streik von einer auf zwei Wochen.

Das reicht jedoch offenbar, um Labour in Panik zu versetzen. Bill Morris, der Chef der Transportarbeitergewerkschaft, warnte Blair am Montag auf dem Gewerkschaftskongreß davor, sich auf einen „politischen Wettkampf um die Frage einzulassen, wer am heftigsten auf die Arbeiter einschlagen“ könne. Lew Adams von der Gewerkschaft Aslef beschuldigte Blunkett, den „Gewerkschaften in den Hintern“ zu treten. Der wehrte sich: Eine künftige Labour- Regierung werde keine „Hinterstubenrevoluzzer“ dulden, die nur am Chaos interessiert seien. Don Foster von den Liberalen Demokraten sagte gestern, Blunkett stehe dem Thatcherismus näher als dem Sozialismus.

Ein anderes Thema, daß die Labour Party gerne bis nach den Wahlen vertagt hätte, ist der Mindestlohn. Rodney Bickerstaffe, Chef der Gewerkschaft Unison, forderte am Montag 4,26 Pfund pro Stunde als untere Grenze, während Blair noch hofft, daß der Gewerkschaftskongreß die schwammige, aber Labour-freundliche Variante von „vier Pfund aufwärts“ verabschieden wird.

„4,26 Pfund pro Stunde ist genau die Summe, um die sich die Abgeordneten ihre Diäten Anfang des Jahres erhöht haben“, sagte Bickerstaffe. „Man kann sich nicht eine Erhöhung von 9.000 Pfund im Jahr verordnen und dann den ärmsten Arbeitern im Land erklären, daß sie diese Summe nicht für die Arbeit eines ganzen Jahres verlangen dürfen. Das ist Doppelmoral.“ Ralf Sotscheck