Das Dilemma der Moderne

Von der Liebe zur Geometrie zu politischen Auftragsbauten: In Berlin widmet sich eine Ausstellung dem tschechischen Architekten Bohuslav Fuchs  ■ Von Ulrich Clewing

Sein Name ist nur einigen wenigen Eingeweihten ein Begriff, in den großen Nachschlagewerken zur Architektur des 20. Jahrhunderts wird er, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Zu Unrecht: Bohuslav Fuchs, dem das Tschechische Kulturzentrum in Berlin derzeit eine kleine Ausstellung widmet, zählt zu den herausragenden Vertretern der Klassischen Moderne. Seine Bauten der zwanziger und frühen dreißiger Jahre beweisen, daß die damalige Avantgarde der tschechischen Architekten europäischen Größen wie Le Corbusier, Walter Gropius oder Mies van der Rohe durchaus vergleichbar war.

Bohuslav Fuchs wurde 1895 in der Kleinstadt Vsechovice in Mähren geboren. Nach einer Lehre als Maurer machte er das Abitur und absolvierte die Ingenieurschule in Brünn (Brno). Von 1916 bis 1919 studierte er Architektur an der Prager Akademie der Bildenden Künste. Anschließend arbeitete Fuchs für zwei Jahre im Atelier seines Lehrers Jan Kotera, bevor er 1921 den Alleingang versuchte. Doch das erste eigene Büro bestand nicht lange: 1923 kehrte Fuchs nach Brünn zurück und nahm eine Stelle im städtischen Bauamt an.

Sechs Jahre später machte er sich ein zweites Mal selbständig. 1947 (andere Quellen sagen 1945) wurde Bohuslav Fuchs an den Lehrstuhl für Stadtplanung der Technischen Hochschule Brünn berufen, den er bis zu seinem Tod 1972 innehatte. Zu Lebzeiten blieb ihm internationale Anerkennung keineswegs versagt: 14 Jahre lang, von 1946 bis 1960, war er Vizepräsident der Internationalen Föderation für Wohnen, Städtebau und Raumplanung (IFHTP) in Den Haag, 1969 wurde er mit dem Herder-Preis der Stadt Wien ausgezeichnet.

Fuchs frühe Entwürfe sind noch ganz vom sogenannten Prager Stil beeinflußt, einer streng purifizierten Form des Jugendstil. Doch Mitte der zwanziger Jahre machte er innerhalb kürzester Zeit eine erstaunliche Entwicklung durch. Nun orientiert sich Fuchs am Bauhaus und der niederländischen De- Stijl-Gruppe, ohne freilich deren Ideen einfach nur nachzuäffen: Die Schwesternschule in Brünn von 1925, das Café Zeman aus demselben Jahr, die Pensionen Avion, Viola und Radun in Luhačovice von 1927 oder sein Pavillon der städtischen Gaswerke auf der Ausstellung für zeitgenössische Kultur in Brünn (1928) zeigen funktionale Architektur in Reinkultur.

Für Fuchs hingen Schönheit und Geometrie eng zusammen. Seine Bauten bestehen aus verschachtelten, zerklüfteten, ineinandergeschobenen Quadern und besitzen dabei eine Klarheit und Ausgewogenheit der Proportion, die der von Walter Gropius' zeitgleichen Dessauer Meisterhäusern ebenbürtig ist. In der Ausstellung im Tschechischen Zentrum werden insgesamt 20 Projekte vorgestellt. Die Gestaltung ist betont schlicht gehalten, was in diesem Fall kein Nachteil ist, sondern die Übersichtlichkeit erhöht – anders als bei vielen Architekturausstellungen, bei denen die Inszenierung dominiert. Ein Foto, ein kurzer Text, Grundrisse, ein paar Skizzen und Ansichten vom heutigen Zustand der Gebäude – mehr ist da nicht.

Problematischer ist der zeitliche Rahmen der Ausstellung. Er beschränkt sich auf die Jahre 1924 bis 1932, was dem äußerst produktiven Fuchs (insgesamt sind von ihm rund 500 Projekte überliefert) posthum schmeicheln mag, die Sicht auf die Zusammenhänge aber leider verstellt. Denn Fuchs war nicht nur ein herausragender Vertreter der funktionalen Baukunst. Seine Biographie steht auch für das Dilemma der Moderne im allgemeinen. Architektur ist immer ein Abbild politischer Verhältnisse, Bohuslav Fuchs macht darin keine Ausnahme.

1937 entledigt er sich der undankbaren Aufgabe, das neue Militärhauptquartier in Brünn zu bauen, noch mit bemerkenswertem Geschick: Das langgezogene, fünfstöckige Gebäude weist – ähnlich der wesentlich späteren Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin – eine feingeschwungene Kurvatur auf, die dem Ganzen eine angenehme Leichtigkeit verleiht. Gleiches gilt für das ein Jahr später entstandene Postamt am Bahnhof von Brünn. Fuchs gelang ein trotz seiner erheblichen Ausmaße eleganter, transparenter Bau.

Das ändert sich mit dem Einmarsch der Nazis in die Tschechoslowakei. An den 1939 erbauten Einfamilienhäusern in Skryje und mehr noch am Hotel Vlcina in Frenstat von 1940 sind nun deutliche Anklänge an den Stil deutscher Kollossalbauten – Mauern aus Hausteinen, viel dunkles Holz, „putzige“ Dächer – zu erkennen. Nach dem Krieg greift er beim unfertig gebliebenen Busbahnhof in Brünn für kurze Zeit Formen des organischen Bauens auf, doch mit dem 1953 eingeweihten Siegerdenkmal watet er schon wieder bis zu den Knien im stalinistischen Zuckerbäckerstil.

Danach hat Fuchs nur noch wenig gebaut. Er war fortan vornehmlich als Stadtplaner tätig, aber auch die spärlichen Versuche, an die Qualität früherer Bauten anzuknüpfen, mißlangen ihm gründlich. Das Wohnungsbauprojekt „Jablonova“ im Brünner Stadtteil Medlanky wirkt so plump und abweisend wie die uninspiriertesten Beispiele der Pseudomoderne im Westen. Um das zu erfahren, hätte man sich im vergangenen Jahr auf den Weg nach Brünn machen müssen. Dort wurde anläßlich von Fuchs' hundertstem Geburtstag eine umfangreiche Retrospektive seiner Werke gezeigt. Die Berliner Ausstellung ist davon nur ein schwacher Abglanz.

Bis 27. 9., Tschechisches Kulturzentrum Berlin, Leipziger Straße 60. Das Werkverzeichnis zu Fuchs kostet in der Ausstellung 25 DM