„Schwules Haus“ am Rhein

Sie sind schwul und sagen das auch – und sie betreiben ein Hotel in Bingen. Das reicht in der Touristenstadt für einen Aufruhr  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Der Rhein wird eng, stromabwärts hinter Bingen. Binger Loch heißt die von den Binnenschiffern gefürchtete Untiefe im Strom. Mitten im Fluß steht der Mäuseturm. In dem Gemäuer, erzählt die Legende, sei 970 der kränkelnde Mainzer Erzbischof Hatto den Nagetieren zum Opfer gefallen. Die gruselige Geschichte des „Mousetower“ fasziniert vor allem die US-Touristen.

Das Hotel und Restaurant „Haus Clara“ steht am Rheinkai der ehemaligen Fischerstadt. „Schwule Drecksäue!“ skandierten vor kurzem drei Jugendliche und beschimpften und bedrohten die Gäste. Nachts wurden Geranien aus Blumenkästen gerissen und die Tische umgeworfen.

Die Pächter, Johannes Dahlen (35) und Carlos Lobo (20) haben den Gastronomiebetrieb mit sieben Gästezimmern in Dahlens Heimatstadt nicht wegen der Sage von den Mäusen gepachtet. Ihre Gäste, vor allem die Holländer, lieben den Wein und die Weinberge. An den kleinen Tischen im Freien werden „Bubenstück“ oder „Kempter Lies“ eingeschenkt, und dazu gibt's eine Forelle. Die Gäste blicken zwischen den Geranien hindurch auf das wuchtige Standbild der „Germania“ auf der anderen Rheinseite.

Seit dem Sieg über die Franzosen 1870/71 steht die Bronzefigur oben auf dem Niederwald. Der Versuch eines deutschen Anarchisten, das Denkmal noch vor der Einweihung in die Luft zu sprengen, scheiterte. Es regnete in jener Nacht, die Lunte der selbstgebastelten Bombe wurde naß.

Dahlen und Lobo sind seit zwei Jahren ein Paar. Dahlen ist der umtriebige Organisator und unterhält sich gern mit den Leuten. Sein portugiesischer Freund schweigt meistens – und lächelt. Der junge Barmann aus Lissabon und der passionierte Koch aus Bingen: Zunächst lief alles gut mit Johannes und Carlos und ihrem „Haus Clara“. Bis sich die beiden neuen Pächter selbst als Schwule outeten. „Wir wollten unser Liebesverhältnis nicht länger unter der Grasnarbe halten, wie all die anderen Schwulen in Bingen“, sagt Dahlen. Ein öffentlicher Kuß auf dem Balkon von „Haus Clara“, eine lange Umarmung auf dem Rheinuferfest. Das genügte zur Provokation erster anonymer Anrufe: „Dahlen, du bist der größte Wichser von Bingen.“

So richtig „rundgegangen“, sagt Dahlen, sei es allerdings erst, als er sich für die Umgestaltung der Rheinuferpromenade eingesetzt habe. Mediterranes Flair wollten Lobo und er nach Bingen holen: Tische vor der Restaurant- und Hotelmeile, Lampions und Blumen. Doch die eingesessenen Hoteliers und RestaurantbesitzerInnen seien „in Fronststellung gegangen“ – wegen der Parkplätze am engen Rheinkai. Doch Dahlen ließ nicht locker und nervte Magistratsmitglieder, Stadtverordnete und gar den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) mit Eingaben und schaltete die Lokalpresse ein. Es kamen zustimmende LeserInnenbriefe. „Zugegeben, wir haben die Sache ordentlich gepuscht.“

In diesem Frühjahr schließlich stimmte der Fremdenverkehrsausschuß der Stadt einer Umgestaltung der Promenade zu. Idyllisch ist sie nicht, und von mediterranem Flair kann keine Rede sein, so direkt an der vielbefahrenen Bahnstrecke Mainz–Koblenz. Es ist 22.30 Uhr. Die letzten Gäste sind bewirtet. Dahlen hat die Schürze abgebunden und genehmigt sich ein Glas Portwein. Carlos schenkt großzügig ein. Er bezieht den Wein aus der Heimat. „Alles Gewohnheitssache“, kommentiert Dahlen die Bahnlinie: „Nach ein paar Gläsern hören sich die Züge an wie die Brandung an der Algarve.“ Er muß es wissen. Schließlich hat er Carlos in einem Dorf am Atlantik kennengelernt.

Die „Rache der Etablierten“ nennt er die „angezettelte Kampagne“ gegen das „schwule Haus“. So werde das „Haus Clara“ inzwischen in der Stadt genannt. Und die Kampagne habe „Geister“ auf den Plan gerufen, die sehr real seien und vor Gewalt nicht zurückschreckten. „Wir werden in Zukunft höllisch aufpassen müssen.“

In der Stadt wurde die Bedienung, einst die gefeierte Weinprinzessin von Bingen, von PassantInnen beschimpft: Lesbenschlampe! Dahlen: „Und die haben uns in den Hausflur gepißt – am hellichten Tag.“

„Schlimm“ sei das alles gewesen, sagt Stammgast Ingo Schmitt. Der ehemalige Stadtrat schämt sich für seine „unglaublich dummen und gemeinen Mitbürger“. Einige Hotelgäste aus Holland seien nach den Vorfällen abgereist, sagt Dahlen. Und schon seit Monaten habe ihnen der Fremdenverkehrsverein keine Belegungen mehr vermittelt. Würden ihnen jetzt auch noch die Stammgäste vergrault, gehe ihr Projekt „schweren Zeiten“ entgegen. „Das hört sich jetzt vielleicht komisch an“, sagt Ingo Schmitt: „Aber Johannes hat hier vor allen Gästen schon bitterlich geweint.

Tatsächlich haben sich einige der „Etablierten“ dem Stadtratsbeschluß zur Umgestaltung des Rheinkais nur widerwillig gebeugt. Keine Tische vor dem einst renommierten Hotel „Starkenburg“ von Christa Menges, nur zwei vor der Pension „Ariston“. Deren Besitzer, Udo und Helga Ertelt, hätten sich zu den Wortführern der „Ignoranten“ aufgeschwungen, sagt Ingo Schmitt. „Dahlen, du schwule Sau, ich polier' dir noch mal die Fresse“, habe Ertelt erst vor wenigen Tagen „quer über die Gasse gebrüllt“. „Der haßt Schwule“, glaubt auch Dahlen.

Helga Ertelt weist diese Anschuldigungen empört zurück. Weder sie noch ihr Mann hätten etwas gegen Schwule – oder gar gegen Ausländer: „Von deren Geld leben wir hier schießlich. Alle!“ Dahlen sei der „wahre Störenfried“, sagt Helga Ertelt. Der habe ihnen und auch anderen Hotelbesitzern die Gäste ausgespannt. „Bis dieser unmögliche Mensch hierherkam, waren wir alle eine große Familie.“

Reden wollen Uwe und Helga Ertelt nicht mit ihrem Kontrahenten „vom anderen Ufer“. Dahlen, behauptet Helga Ertelt, habe ihr erst kürzlich „den Stinkefinger gezeigt“. „Leider habe ich dafür keine Zeugen.“ Der Oberbürgermeisterin, die auf Bitte von Dahlen vermitteln wollte, haben Ertelts einen Korb gegeben – was die Bürgermeisterin Colin Langen (CDU) bestätigt: „Frau Ertelt hat ein Gespräch mit mir und Dahlen auf neutralem Boden im Rathaus schlichtweg abgelehnt.“

Einheimischen Gäste aus „Haus Clara“ wanderten ab, zuerst der Bingener Karneval-Verein (BKV), gegründet 1833. Offiziell hieß es, daß die KarnevalistInnen schon lange ein anderes Vereinsheim gesucht hätten. Doch Ingo Schmitt stellte den Präsidenten des BKV, Michael Choquet, im neuen Vereinslokal zur Rede. Bei den „Eidideis“, so Choquet, habe der Verein einfach nicht länger bleiben können. Immerhin habe der Ruf des BKV auf dem Spiel gestanden. Kurz zuvor hatte folgendes Gerücht in Bingen die Runde gemacht: In Unterhosen sei ein Hotelgast aus „Haus Clara“ geflüchtet, weil er von den beiden „Homos“ sexuell belästigt worden sei. Dahlen: „Was für ein Unsinn.“

Vielmehr belästigten „krakeelende Jungmänner“ seine Gäste, erzählt er, und drohten ihnen Prügel an. „Schwuchtel“ sei sie von „diesen Typen“ genannt worden, berichtet Jutta Kölbl aus Bad Vilbel, seit Jahren Stammgast im „Haus Clara“. Sie hat der Oberbürgermeisterin einen Brief geschrieben, als ihr und sieben weiteren Gästen – einem holländischen Ehepaar und einigen BingenerInnen – auch noch der Zutritt zur Nobeldiskothek „Palazzo“ verwehrt worden sei.

Noch halten die Stammgäste aus Holland und Deutschland dem „Haus Clara“ die Treue. „Ich fühle mich hier pudelwohl“, sagt Jutta Kölbl. Sie will auch in den nächsten Jahren ihren Urlaub hier verbringen. Doch investieren in Bingen, wie es die Geschäftsfrau aus dem Taunus eigentlich vorhatte, wird sie nicht.

An einem Kiosk in der Hindenburganlage am Rhein ist das „schwule Haus“ natürlich auch ein Thema. „Wenn die sich ruhig verhalten hätten, wäre das alles nicht passiert“, glaubt ein Pächter, der den in- und ausländischen Touristen Souveniers und Getränke verkauft. In Bingen würden auch andere Schwule leben: „Aber die passen sich an.“

Im kleinen Park neben dem Kiosk haben junge Betrunkene ihr Lager aufgeschlagen – unter der Konföderiertenfahne. Die Männer pöbeln Touristen an. „An die traut sich keiner ran“, sagt gerade der Kioskpächter, der ihnen vorher das Bier verkauft hat. Die holländischen TouristInnen, die gerade von einem Schiffsausflug zum Mäuseturm zurückkommen, schlagen einen weiten Bogen um die Truppe, deren Chef sich gerade die Hose aufknöpft und an die Parkbank pinkelt.

Dahlen gibt zu, daß er inzwischen ziemlich sauer ist und sich auch den einen oder anderen Ausrutscher geleistet hat. „Ertelt, du bis ein ungebildeter Arsch. Lieber schwul sein als überhaupt keinen Sex haben“, hat er vor wenigen Tagen auf einen Hausprospekt von Ertelt geschrieben: „Nachdem der unsere Werbezettel, die wir hinter die Scheibenwischer parkender Autos geklemmt hatten, wieder abgerissen hat.“ Die Stadt, in der laut Fremdenverkehrsamt der „Herzschlag Europas“ zu spüren ist, müsse nun endlich eingreifen. Doch Oberbürgermeisterin Langen winkt ab: „Der Stil der Auseinandersetzung entspricht nicht meinem Niveau.“ Im übrigen, sagt sie abschließend, habe das Fremdenverkehrsamt noch im Juni, beim „Feuerzauber“ auf dem Rhein, auch dem „Haus Clara“ Hotelgäste zugewiesen.

Letzten Dienstag fand dann doch ein Gespräch der Bingener GastronomiebetreiberInnen im Rathaus statt – allerdings ohne die Pächter von „Haus Clara“. Dahlen und Lobo, so die Bürgermeisterin, seien eingeladen worden. Dahlen hingegen sagt, er habe die schriftliche Einladung nie bekommen. Er fühlt sich, recht verbittert, inzwischen an „unseligste Zeiten in Deutschland“ erinnert: „Kauft nicht bei Juden! Eßt nicht bei Schwulen!“