Ein Landurlaub mit Andacht

Im mecklenburgischen Parum treffen sich Jugendliche zum Wiederaufbau eines alten Backhauses. Der Geheimtip – ein Ferienlager auf Kirchengrund – wurde inzwischen zur Institution  ■ Von Cornelia Gerlach

Es ist finster. Nur die Reflektoren am Straßenrand werfen das Autolicht zurück in die Nacht. „Die sind neu“, sagt Valeska, die Fahrerin. Sie mustert die Schlaglöcher. „Und die sind noch so, wie sie waren.“ Wir biegen ab, jetzt verschwimmt auch der Wegesrand im Dunkeln. Valeska läßt den Wagen ins Gras rollen, ein paar Meter noch, dann sind wir da: zu Gast bei der Evangelischen Kirchengemeinde in Parum, einem kleinen Dorf ganz im Westen von Mecklenburg.

Hinter der Hecke flackert ein Feuer. Ein paar Leute sitzen da und reden: ein mittelalter Mann, eine Frau, einige Jugendliche. Wir treten näher. Valeska wird freudig begrüßt. Gleich nach der Wende war sie öfter hier. Das letzte Mal kam sie vor vier Jahren, kurz nach dem Abi. Wir erzählen knapp von der Reise: Drei Stunden waren wir unterwegs aus Berlin. Ein Rehbock schlägt an, ein Abendsegler jagt vorbei, und von fernher rumst der Rhythmus der Disco. Wochenende.

Einer der Jungen zeigt uns nachts das Gelände. Wir stolpern durch das Gras, an einem DDR- Bauwagen vorbei, der jetzt Küche ist, zum Toilettenwagen und zur Dusche, einem Bretterverhau mit Brausekopf und einem schwarzlackierten Tank auf dem Dach. Und natürlich zum Backhaus. Der Giebel bohrt sich in Wellenlinien in den Sternenhimmel. Die Nordwand steht: ein nacktes Fachwerk aus alten Balken. Dies also ist das Haus, das inzwischen berühmt ist in bestimmten Kreisen in Berlin- Lichterfelde, Erfurt, Leipzig und Hamburg. Hierher kommen Jugenliche von überall, um mitzubauen oder einfach nur auszuspannen. Das alte Backhaus ist ein Kristallisationspunkt. Wir klettern in einer Scheune die Leiter hoch, rollen Schlafsäcke ins Heu und sind schon eingeschlafen.

Vogelgezwitscher. Sonnenstrahlen fallen durch die Ritzen der Ziegel ein. Ungefähr zwölf junge Leute rekeln sich auf dem Boden, begrüßen die Neuen. Dann steigen sie in alte Hosen und T-Shirts, klettern die Leiter herunter und gehen durch das feuchte Gras herüber zur Kirche. Ein Kreis Stühle steht um den Altar, und schnell füllt sich der rauhe, rostrote Backsteinbau: Andacht. Bis zum Frühstück bleibt Zeit, denn einer muß Brötchen holen, andere decken unterm Himmel den Tisch. Wir gehen den Rundgang der Nacht noch einmal bei Licht.

Groß ist es nicht, dieses Backhaus in Parum. Es war und ist nichts Besonderes. Ein Backhaus wie auf den Höfen der Gegend früher üblich. Besonders ist nur, daß es erhalten blieb und, vor allem, daß es zum Magneten wurde als eine Begegnungsstätte für Jugendliche aus Ost und West.

Markus ist einer der Westberliner, die von Anfang an dabei sind. Er erzählt vom ersten Besuch, Ostern 1990. Zusammen mit zwei Freundinnen machte er eine Radtour durch das unbekannte Land. „Als wir nach Parum kamen, fing es fürchterlich an zu regnen“, erinnert er sich. „Da sind wir zum Pfarrhaus gegangen und haben gefragt, ob wir wohl über Nacht bleiben könnten.“ Sie konnten. Bis tief in die Nacht saßen sie beieinander und redeten. „Genau genommen“, korrigiert sich Markus, „haben der Pfarrer und seine Frau geredet. Wir haben zugehört.“ Sie wollten wissen, wie das war: das Leben in der DDR, der Alltag in der Gemeinde im Osten. Markus kam später öfter vorbei.

Ein zweiter Impuls war aber nötig, bis aus der Bekanntschaft ein Projekt wuchs. Den brachten Andere mit von einem Besuch in der ökumenischen Gemeinschaft in Taizé. Konnte man, was in Frankreich möglich war, nicht auch in Mecklenburg machen? Hier leben, arbeiten, etwas Sinnvolles tun? Vielleicht die Kirche reparieren? Da pfiff der Wind durch das Dach, und die Schwalben flogen ein und aus. Aber das war eine Nummer zu groß, denn so richtig glaubte niemand an den Arbeitswillen der Jugendlichen aus Berlin. Den bewiesen sie, als das Dorf neue Wasserleitungen bekam. Da schaufelten sie einen Graben von der Straße bis zum Haus. Dann war die Zeit reif für das Backhausprojekt. Das dauert nun schon Jahre, und langsam wird aus der verfallenen Hütte ein Schmuckstück.

Nach dem Frühstück beginnt die Arbeit: die Stromleitung wird in die Erde verlegt, beim Nachbarn sind Kirschen zu pflücken, ein paar große Bretter müssen zurück in die Kirche, und in der Nordwand fehlen noch drei hölzerne Nägel. Jeder sucht sich, was er will, und wer nichts will, trollt sich. Mehr als sechzig junge Leute waren im Sommer schon gleichzeitig da. Im Programm der Evangelischen Jugend in Mecklenburg sind die Bauwochen in Parum verzeichnet, und auch aus Leipzig, Erfurt und Dresden kommen Freunde gereist. Die Berliner, einst die Säule des Projekts, sind inzwischen eher rare Gäste. Sie sind älter geworden, umgezogen, machen eine Ausbildung und haben weniger Zeit. Andere haben Verantwortung übernommen. Jetzt stellt die Schweriner Junge Gemeinde die größte Gruppe. Auch die Linien zwischen Ost und West lösen sich auf. Zum einen stoßen zugezogene Wessis zu Jungen Gemeinden im Osten. Zum andern waren die meisten, die jetzt am Backhaus zimmern, acht Jahre, als die Wende kam: Kinder. Jetzt sind sie 14 und haben andere Sorgen als Vorher-und- nachher-Vergleiche. Sie wollen das Leben auf dem Land entdecken, etwas aufbauen. Nicht nur ein altes verfallenes Backhaus, sondern einen Treffpunkt, wo jeder zählt.

Der Pastor hat viel zu tun. Nachmittags kommen auswärtige Gäste, abends ist Konzert in der Kirche. Zeit für ein Interview? „Nein“, sagt der Pastor, „ich verweigere mich.“ Sein Name soll nicht in die Zeitung, da ist er stur. Den Medien gehe es doch nicht um Inhalte, sondern um Personen, kritisiert er. Wo einzelne herausgestellt würden, breche die Gemeinschaft auseinander. Über das Backhausprojekt zu reden und Namen zu nennen heiße, das Engagement aller anderen zu schmälern. Ohne die einen seien die anderen nichts. Aber haben der Pastor und seine Familie hier nicht eine besondere Rolle? Nein, sagt er, schließlich habe er seit 1969 immer wieder probiert, andere für das Backhaus zu begeistern. Erfolglos. „Erst diese Leute jetzt packen wirklich an.“ Denen gebühre die Ehre, nicht ihm.

Ein bißchen erzählt der Pastor dann doch. Die Gemeinde sei weiter auseinandergerückt seit 1989, sagt er. Manche Gottesdienste müssen ausfallen, weil niemand erscheint. Auch vom Bau des Backhauses im Sommer hält sich die Jugend von Parum weitgehend fern. Die Jugendlichen aus den Städten, die sich hier engagieren, verstehen das. „Für uns bedeutet das Landleben Ferien, für die von hier ist es Alltag“, sagt einer von ihnen.

Hell klingelt eine Glocke durchs offene Fenster: Essenszeit. Die Bauleute legen ihre Werkzeuge weg, die Stromleitung ist fast schon im Boden. Der Tisch ist gedeckt, es gibt Pellkartoffeln mit Quark. Das Gespräch springt von einem zum anderen. Dann ist es Zeit für den Abwasch.

Es gibt keinen Plan. Trotzdem wandert das Geschirr in den Wagen, setzt jemand Wasser auf. Zwei Mädchen kommen dazu und trocknen ab. Hand in Hand geht die Arbeit, dazwischen ist Zeit zum Reden. Was sind das für Jugendliche, die sich hier engagieren? „Die meisten kommen aus der Jungen Gemeinde“, sagt ein Mädchen, aber Voraussetzung sei das nicht. „Bei uns in Schwerin sind auch Atheisten und Katholiken dabei.“ Welche Rolle spielt dann, daß das Backhaus auf Kirchengrund steht? „Die Institution ist nicht wichtig“, sagt das Mädchen. „Aber der Glaube. Daß es so etwas wie Nächstenliebe gibt.“ Sie wird ein bißchen rot. „Ich weiß, das klingt kitschig“, schiebt sie nach. Woran man die merkt, die Nächstenliebe? „An den Andachten, klar, aber auch an der Art, wie wir miteinander umgehen.“ Was ihr hier gefällt: immer draußen zu sein, von morgens bis abends. Nur beim Abwasch, auf dem Klo und nachts im Heu ein Dach über dem Kopf zu haben, sonst immer den Himmel. „Und die Gemeinschaft.“

Der große Stapel Teller ist sauber, trocken und im Regal, die Pfanne glänzt in der Sonne. Der Küchendienst hat seine Aufgabe erfüllt. Die da draußen schaufeln Erde auf die Stromleitung und diskutieren dabei über die Chancen des Offenen Kanals und alternativer Rundfunkprojekte. Einfach so, ohne Programm. An Himmelfahrt und beim Backfest im Herbst ist das anders. Da kommen inzwischen etwa 150 Leute auf den Hof, und für die gibt es dann auch ein richtiges Programm. Beim letzten Mal ging es ums Bauen, ein anderes Mal ging es ums Brot, das tägliche Brot. Dann wird Holz gesammelt und der Ofen geheizt, Teig geknetet und gebacken, und am Ende scharen sich alle um das kleine Haus aus Backstein und feiern.

Evangelische Kirchengemeinde, 19243 Parum bei Hagenow, Dorfstraße 13