■ Kurt Scheels Lichtspiele
: Der böse Produzent

Pandro S. Berman ist tot. Er, der typische amerikanische Selfmademan, den seine Freunde Pandro nannten, war einer der letzten großen Hollywoodproduzenten, einer aus der Reihe der DeMilles, Goldwyns, Zanucks. Harte Männer, deren Besetzungscouch nie lange leer blieb, die über Karrieren entschieden, die Stars ebenso wie Dollars „machten“, filmisches Urgestein der „Golden Era“, nicht zu vergleichen mit den smarten, anonymen Möchtegern-Yuppies der Gegenwart. Die Produzenten, nicht die im Rampenlicht stehenden Stars, waren die heimlich-unheimlichen Herrscher von „Tinseltown“ (Flitterstadt, i.e. Hollywood).

Im Unterschied aber zu seinen illustren Kollegen, Menschenschindern und Egomanen wie Selznick oder Thalberg, war Berman „im Grunde seines Herzens ein zarter, idealistischer, kindlicher Mensch“, wie es in dem Buch David O. Selznicks, „Hollywood“, heißt.

Lehrjahre sind keine Herrenjahre – dieses heute angestaubt wirkende Diktum hatte für Pandro eine tiefe Bedeutung, als er 1931 Assistent bei Selznick wurde. Vor versammelter RKO-Mannschaft zur Schnecke gemacht, regelmäßig mit tückischen Memos bombardiert, begann jetzt eine schwierige Zeit der Arschkriecherei für den „wonder boy“. Pandro über seinen Chef: „Im Studio kehrte er wirklich mit eisernem Besen.“

Aber dann kam der Durchbruch, im „annus mirabilis“ 1932, und ausgerechnet mit einem Film, der das menschenverachtende Studiosystem anprangert bzw. dessen Humankosten immerhin andeutet: „What Price Hollywood?“ handelt von einem genialisch- trunksüchtigen Regisseur, der von einem „ganz normalen“ Produzenten in den Selbstmord getrieben wird – also „der Mythos Hollywoods mit seinen Geschichten von maßlosen Regisseuren, die mit ihrer Phantasie und Kreativität immer wieder die wirtschaftliche Situation der Filmindustrie ins Wanken brachten, was schließlich zu ihrem Sturz und zur Institutionalisierung des Produzenten führte“.

Der titanische Kampf zwischen Kunst und Kommerz, hier freilich, typisch Hollywood, sentimental abgemildert. Die wahre, die ungeschminkte Wahrheit über diesen Kampf konnte nicht in Amerika ausgesprochen werden; hierzu bedurfte es eines Europäers: Jean- Luc Godard, der für seine Erneuerung der Filmkunst kürzlich zu Recht den Adorno-Preis bekommen hat. In „Le Mépris“ (1965) zeigt er, daß Produzenten strukturell böse sind: „Die Ehe eines Drehbuchautors zerbricht bei den Arbeiten zu einem Odysseus-Film, weil seine Frau glaubt, er wolle sie an den Produzenten abtreten, um die eigene Position zu sichern. Ein Film über das Drehen von Filmen [...] und die Filmwelt. Auffallend ist die Farbdramaturgie: Braun und Grün dominieren bei den Außenaufnahmen, Rot, Blau und Weiß in den Innenräumen. James Monaco sieht darin das visuelle Äquivalent für ,den Gegensatz von Frankreich und Italien, von Godards Art des Filmemachens und der Pontis und Levines‘, der beiden Produzenten, die – Godards Wünsche mißachtend – Szenen einfügten (zum Beispiel Nacktaufnahmen der Bardot) bzw. umstellten.“ Der Film sei nicht so ganz gelungen, fährt das „Lexikon des Internationalen Films“ fort, aber „doch sehenswert: als Dokument einer unermüdlichen Selbstreflexion“.

Godard entlarvt den Produzenten als Charaktermaske des Kapitals, der nicht einmal vor dem menschenverachtenden Umstellen von Nacktaufnahmen zurückschreckt: Daß unter solchen Bedingungen Filmkunst nur als Palimpsest, als Flaschenpost überleben kann, versteht sich von selbst. Das ist nicht genug, aber zu Zeiten, da sich Amerika aufmacht, mit industriell erzeugter Massenware uns Europäern unsere Bilder, unsere Phantasien zu rauben, ist es nicht wenig.

Pandro Berman war ein untypischer Produzent, weich und ängstlich, und so konnte er auch nicht verhindern, daß die beiden schönsten Astaire/Rogers- Filme, „The Gay Divorcee“ und „Top Hat“, unter seiner Ägide entstanden sind, nicht zu vergessen „Ivanhoe“, den Kenner wie ich für den besten Ritterfilm halten. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Produzent in den Himmel kommt – wohl wahr, aber der liebe Gott soll Astaire-Fan sein, und man hat schon Pferde kotzen sehen... So long, Pandro! Kurt Scheel