Belgiens Fall Dutroux: Vertändelt und vertuscht

■ Gestern wurde der zehnte Verdächtige in der belgischen Kinderpornoaffäre festgenommen. Wurden die Kinderschänder um Marc Dutroux von ganz oben gedeckt?

Brüssel (taz) – Drei Tage nach der landesweiten Trauer um die beiden entführten Mädchen Julie Lejeune und Melissa Russo, die neun Monate in einem Kellerloch gefangengehalten wurden und dann verhungert sind, nahm die belgische Polizei am Wochenende drei weitere Verdächtige fest, darunter auch einen Polizeiinspektor. Gestern wurde eine weitere Person verhaftet: Pierre R., dem Sohn eines Schrotthändlers, wird vorgeworfen, in den Handel mit gestohlenen Autos verwickelt gewesen zu sein, den die Bande um Dutroux auch betrieben haben soll. Insgesamt sind nun neun Männer und eine Frau in Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Beteiligung an mindestens sechs Kindesentführungen, sexuellen Mißbrauch für Pornovideos und Totschlag vor.

Seit gestern wird auch der Tod der 16jährigen Laurence Matues, die vor vier Jahren von zu Hause verschwunden war und einige Wochen später tot aufgefunden wurde, mit Dutroux in Verbindung gebracht. Sie war an einer Überdosis derselben Schlaftabletten gestorben, die in großen Mengen bei Dutroux gefunden wurden.

Bereits im Juli 1995, wenige Wochen nach dem Verschwinden der beiden Achtjährigen, hatte die belgische Gendarmerie Hinweise eines Informanten, daß Marc Dutroux 150.000 Francs (7.500 Mark) für die Entführung eines Mädchens geboten habe. Außerdem war Dutroux dabei, in seinem Keller Käfige zu bauen, um dort Kinder festzuhalten, bevor sie an Pädophilenringe im Ausland verkauft werden sollten. Doch der Bericht wurde nicht an die ermittelnde Kriminalpolizei weitergeleitet. Statt dessen betrieb die Gendarmerie, eine kasernierte Polizei, die dem Innenminister unterstellt ist, eigene Nachforschungen. Doch die Recherchen unter dem Decknamen Othello führten zu nichts. Die Verantwortlichen rechtfertigen sich nun damit, daß sie der Kriminalpolizei nicht trauten, weil es dort eine undichte Stelle gebe. Die undichte Stelle heißt Georges Zicot und wurde am Samstag festgenommen.

Inspektor Zicot, bei der Kriminalpolizei zuständig für Autodiebstähle, soll über Jahre mit der Autoschieberbande um Marc Dutroux zusammengearbeitet haben. Daß er trotz des seit langem bestehenden Verdachts bis Samstag unbehelligt blieb, läßt darauf schließen, daß er von höherer Stelle gedeckt wurde.

Dieser Verdacht war am Wochenende durch den ermittelnden Staatsanwalt von NeufchÛteau, Michel Bourlet, verstärkt worden. Er sagte, er wolle die Untersuchung bis zur äußersten Konsequenz führen, wenn man ihm „freie Hand“ lasse. Wer ihn hindere, sagte er nicht. Der belgische Justizminister hat eine umfassende Untersuchung angeordnet. Alois Berger

Siehe auch Seiten 3 und 10