Wand und Boden
: Manchmal gebastelt

■ Kunst in Berlin jetzt: Strecker, Künstlerlampen, Terauchi, Kürten

Die Holztafeln und Leinwände haben Titel wie „Im Geist, im Licht“, „Ikone“ oder „Kreuz“. An den Wänden von Friedrich August Stülers Matthäikirche wirken Renée Streckers feinsinnige Abstraktionen dann noch frömmer, als die Titel ohnehin schon andeuten. Ihre Ölbilder, Zeichnungen und Drucke passen grundsätzlich zu gut in den protestantisch- schlichten Kirchenraum. Sie sind in ihrer Farb- und Materialcollage unauffällig raffiniert, zeigen Könnerschaft und sind sehr brav. Dagegen hilft auch nicht die Unterwäsche, die Renée Strecker ins Bild montiert. Der ausrangierte Trikotstoff erinnert an die Vergänglichkeit, was sich in der Kirche doch wieder nur als hyperchristliches Motiv erschließt.

Brüchig ist die Welt und der Malgrund aus Sperrholz, auf dem Strecker mit Sand und Erde delikate Seelenlandschaften entwirft. Mal sind sie in lichtes Grau gebettet, mal ist ein „Verlassenes Dorf“ in ein dumpfes Dunkel getaucht, dem der aufmontierte schwarzverrußte Gitterrost noch mehr Eindeutigkeit verleiht. Eitel ist die Welt, die so bescheiden tut.

Bis 31. 8., Mi.–So. 12–18 Uhr, Matthäikirchplatz

Wirklich bescheiden ist dagegen das Objekt, dem im Haus am Lützowplatz die Ausstellung gilt: der simple Reispapierlampion. Sympathischerweise verheimlicht seine Verwandlung in eine Vielzahl von Künstlerlampen nicht das Projekt einer Sommerpausenlösung. Das neue Gesicht des Lampions ist aufgemalt und angeschminkt; manchmal gebastelt, und einmal hat Charlotte Malcolm- Smith den Lampion auch nachgestrickt. Natürlich, möchte man sagen. Immerhin ist die Wollmasche ihre Kunstmasche.

Die Künstlerlampen sind also Masken der Kenntlichkeit: Susanne Paessler aquarellierte drei blaue Flechtzöpfe auf das Reispapier. Sie rechnet mit der Kreisform des Lampions, ihre konzeptuelle Malerei erscheint hier minimal verspielter als im Stoffmusterkaro ihrer Tafelbilder. Überhaupt reizt das Rundum des Lampenschirms zur Interpretation. Bärbel Bohley setzt auf ein expressives Allover, in Rot, Blau und Schwarz.

Karoline Koeppel gibt dem sanften Reispapiermond ein störendes Anhängsel, das aber folgerichtig nur die rote Krawatte des Herrn ist, den sie auf den Lampion porträtierte. Hanna Frenzel steckt den Japanballon schließlich in eine hohe, breite, aber nur wenig tiefe, quaderförmige Glasvase und nennt das Arrangement „Heimatgefühle“. Sollten sie der Anordnung entsprechen, sind sie kalt und kaputt. Denn der Ballon wird in der Vase flachgepreßt und seiner runden Macht beraubt. Die freigelegte Glühbirne bestrahlt das Malheur mit unerbittlichen 60 Watt.

Bis 1. 9., Di.–So. 11–18 Uhr, Lützowstraße 9

Technisch gesehen vielleicht auch ein Malheur, künstlerisch gesehen aber ein geglückter Neo-Minimalismus: Yoko Terauchis „Hot-Lines“ im Museum für Post und Kommunikation. Yoko Terauchi, die, 1954 in Tokio geboren, heute in London lebt, arbeitet bei ihren hier ausgestellten Objekten mit nur einem einzigen künstlerischen Handgriff — sie schneidet die schwarze Ummantelung von Telefonleitungen auf. Damit legt sie die Flut der inneren, bunten Drähte frei. Als Schlinge über eine weiße Stellwand gehängt, halten sie die halbbogenförmig gebündelten Mantelröhren an der Stellwand fest: Hot- Line 107. Eine Skulptur von wundersamer Pracht und Einfachheit.

Mit nichts anderem als der Flexibilität der Drähte und der Sprödigkeit des Mantels entsteht also die Form der Hot- Lines. Und nichts anderes als das Material selbst und sein Gewicht, das bei den Drähten schwer, beim Mantel aber leicht ist, hält die Skulpturen in ihrer Form. Aus Hot-Line 23, einem bunten Drahtball, ragt ein Kabelstück mit aufgespleißtem Ende wie ein Lunte heraus.

Doch das sollte nicht auf die falsche Fährte führen. Terauchi verwendet das Material nicht als Symbol oder Metapher. Es gibt keine Verbindung zwischen der Funktion des Telefonkabels und dem Objekt, keine philosophische Geste, keine explosive Kommunikation. Nur eine offenkundige Materiallogik und eine schnörkellose Architektur seiner industriellen Schönheit.

Bis 12. 9., Mo.–Do. 9–17, Sa., So. 10–17 Uhr, An der Urania 15

„Auf Wiedersehen, Bielefeld. Malerei +++ Videos +++ Musik“ ist das Programm, das Stefan Kürten in der Raab Galerie präsentiert. Der Titel spielt nicht auf Niklas Luhmann und die Systemtheorie an, dem wohl bekanntesten Exportschlager der Stadt, die an der Bahnlinie Köln–Berlin liegt, auch wenn Kürtens Malerei, die Videos und die Musik mit seiner Gruppe Superbilk ein System bilden sollen, zumindest im Zusammenhang gesehen werden wollen. Was sie verbindet, ist ein vages Motiv des Herausschälens. Die Musik ist noisy, Bindemittel-ähnlicher Gitarrenrock, aber es schälen sich Melodiefolgen heraus. Die Malerei ist stark farbig, flächig, aber es schälen sich figurative Objekte heraus. Und aus den Fehlfarben des Verkehrsvideos „Timelost“ (1996) schälen sich Bildeindrücke heraus, die an Kürtens Malerei erinnern.

Übermalen ist die Methode, mit der der 33jährige Meisterschüler von Michael Buthe Glasbeistelltische, Fliegenpilze, Kronleuchter oder Küchenmixer soweit zum Verschwinden bringt, daß sie fast als Farbfelder gelten könnten, würde man sie nicht im nächsten Moment wieder als Gegenstand erkennen. Das Ganze hat einen Stich Pop, einen Stich Trance, aber merkwürdigerweise am meisten einen Stich Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Das macht die intensive Farbigkeit der Öllasur aus, die manchmal geradezu an altmeisterliche Technik denken läßt.

Bis 31. 8., zu Ladenöffnungszeiten, Potsdamer Straße 58 Brigitte Werneburg